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Sonntag, 3. Juni 2012

Moskitos, Glück und Pannen

Unser Couchsurfer in Moskau hatte uns die Nacht wieder allein gelassen, um Taxi zu fahren und dann zu seiner Freundin zu gehen. Wir hatten ausgemacht, ihm den Schlüssel dann morgens vor unserer Abfahrt vorbeizubringen.
Nach einigem Suchen und 50 km Strecke durch die Stadt finden wir endlich die Wohnung, werden den Schlüssel los und fahren weiter Richtung Nizny Novgorod. Leider ist auf der M7 stadtauswärts dermaßen viel Verkehr, dass wir nicht wirklich gut vorankommen.
Abends beschließen wir, abseits von der Straße an einem Fluss zu zelten. Schon als wir den Platz anfahren, stellen wir fest, dass die Strecke wohl das Sudelfeld und Motocross-Gebiet der örtlichen Jugend ist, die hier mit alten Ladas und Mopeds ihre Runden im Gelände drehen. Zu fortschreitender Stunde wird es jedoch zum Glück ruhiger, und wir kochen unser Abendessen.
Als wir unsere Motorräder noch etwas anders abstellen wollen, springt Daniels Enfield auf einmal wieder nicht mehr an. Mist, das Problem schien doch behoben! Mehr als Übersprungshandlung wackelt er nochmal an den Batteriekontakten, und schwupp, läuft das Ding wieder… Teufelszeug, die Kontakte hatte er doch schon in Moskau abgebaut und gereinigt?
Mittlerweile tut sich jedoch ein ganz anderes Problem auf: Die ganze Gegend ist regelrecht moskitoverseucht! Ich bin ja so einiges von Schottland, Norwegen und Südostasien gewohnt, aber diese Viecher stellen mit Größe und Anzahl alles fast sprichwörtlich in den Schatten. Wir flüchten uns so schnell wie möglich ins Zelt, wo die Biester zum Glück nicht hinkommen. Sie machen jedoch noch einen Heidenlärm unter dem Überzelt, sodass es permanent klingt, als würde es regnen.

Russland - endlose Weiten
Am nächsten Tag erreichen wir Nizny Novgorod, wo wir in einem Supermarkt Wasser und Lebensmittel nachfüllen. Während Daniel einkauft, passe ich draußen auf die vollbepackten Mopeds auf. Plötzlich tauchen ein paar Typen auf, die versuchen, jedem Passanten  ein neues Nokia-Handy unter der Hand zu verscherbeln. Auch mich haben sie recht bald entdeckt, und trotz erheblicher Sprachbarrieren versuchen sie mir, ein „garantiert echtes, neues N8“ anzudrehen. Um mich zu überzeugen, zeigt er mir sogar die Originalverpackung und hält mir seinen Pass unter die Nase.
Recht schnell bemerken die Jungs, dass ich auch für den Supersonderpreis von 100 Dollari nicht gewillt bin, ein neues Handy zu kaufen. Sie beginnen, sich äußerst genau für die Motorräder und das Gepäck zu interessieren. Nicht sicher, ob sie nur Interesse an den Fahrzeugen oder vielmehr an meinem GPS am Lenker haben, bleibe ich besser wachsam. Der eine will noch ein Foto von sich auf meiner Maschine machen, danach zieht die Truppe wieder ab.
Nach Nizny Novgorod und verlassen wir die M7 auf eine kleinere Fernstraße. Der Unterschied ist deutlich spürbar: Die Straße ist ein bisschen schlechter, es herrscht weniger Verkehr, dafür gibt es abwechslungsreichere Landschaft und mehr Kurven! :D
Allzu viel passiert den Tag nicht mehr, außer dass ich bei jedem Tankstopp die Enfield quer über den Platz schieben muss, damit sie wieder anspringt.
Abends zelten wir wieder abseits von der Straße, und auch hier haben wir dasselbe Problem mit den Mücken. Diesmal versuchen 
wir zwar, die Viecher mit dem Rauch eines Lagerfeuers zu vertreiben, was aber nur bedingt funktioniert.


Donnerstags verlassen wir auch die Fernstraße und fahren über einige Käffer nach Osten Richtung Perm. Laut Karte sollten wir nach einiger Zeit wieder auf eine Fernstraße, diesmal die P242, kommen.
Tatsächlich zeigen an der richtigen Stelle Schilder nach Perm, und wir biegen von der guten Teerstraße ab auf die Mutter aller Schotterpisten. Die sieht nun wirklich nicht aus wie die in der Karte versprochene Fernstraße, und nach ein paar Kilometern endet sie an einer Schranke vor einem Fluss.
Laut Einheimischen gab es hier mal eine Fähre, die existiert allerdings nicht mehr. Brücke gibt es auch keine, also bleibt uns nichts anderes übrig, als umzudrehen und einen erheblichen Umweg nach Süden zur M7 einzuschlagen.
Da es nun schon recht spät geworden ist, fahren wir kurz vor Erreichen der Autobahn in einen Feldweg ab und suchen uns einen Schlafplatz. Obwohl diesmal kein Gewässer weit und breit zu sehen ist, werden wir auch hier wieder von Mücken terrorisiert… es ist echt kaum auszuhalten. Wieso zum Henker legen die Leute nicht mal ihre Sümpfe trocken?

Am nächsten Morgen wollen wir eigentlich früh los, um noch Perm zu erreichen und mit etwas Glück wieder einen Couchsurfer zu finden. Der einsetzende Regen hat jedoch den Feldweg in eine Schlammpiste verwandelt und zu allem Überfluss springt die Enfield wieder nicht an. Wir schieben sie genervt durch den Schlamm, bis sie sich endlich bequemt.
Wir rutschen und schlittern mit den Motorrädern durch den Dreck in Richtung befestigte Straße, als Daniel plötzlich vor mir stehen bleibt. Seine Enfield bequemt sich nicht mehr von der Stelle, trotz eingelegtem Gang dreht sich kein Rad. Er hat es tatsächlich geschafft, seine Kupplung auf hundert Metern schlammigem Feldweg zu zerstören… wow!

Mit Müh und Not schieben wir das Ding die restlichen Meter durch den Dreck auf festeren Boden. Etwas ratlos überlegen wir noch, ob wir hier im Dreck und Regen versuchen sollen, die Kupplung auszutauschen, da kommt plötzlich jemand zu Fuß vorbei. Etwas weiter unten im Tal liegt offensichtlich ein Dorf, und bevor der Typ im herbeigerufenen Taxi verschwindet, telefoniert er uns von dort noch Hilfe herbei.
Nach einiger Zeit tauchen zwei Gestalten mit ein paar lose in einen alten Ölkanister geworfenen Werkzeugen auf und beginnen damit, das Moped mehr oder weniger sanft zu zerlegen. Daniel meint, man müsse auf der rechten Seite das Getriebe demontieren, bevor man an die Kupplung komme. Die Jungs scheitern jedoch (zum Glück, wie sich später zeigt) daran, die Welle zu entfernen und das Getriebe zu öffnen.
Man beschließt also, das Moped durch den Dreck runter ins Dorf zu schieben. Daniel macht sich mit den beiden vom Acker, während ich auf die Koffer und meine Maschine aufpasse. Erstens würden wir schwerlich die vollbeladene Enfield da runter schieben können, zweitens habe ich kein Bedürfnis danach, über eine abschüssige Matschpiste mit meinem Moped runter zu schlittern.
Ich mache mich also daran, meine Maschine zu reinigen. Jetzt zeigt sich erst, in was für einem Teufelszeug wir hier strecken geblieben sind: Das ist keinesfalls normaler Matsch, sondern vielmehr Lehm, der sich überall festsetzt und stabiler wird, je mehr er trocknet. Ich muss einige Teile demontieren, um den Dreck zu entfernen damit sich das vordere Ritzel wieder frei drehen kann. 

Wie eine Motorradkette nicht aussehen sollte...

Schließlich biegt ein Auto in den Weg ein und Daniel steigt zusammen mit zwei Leuten aus dem Dorf aus. Sie waren beim Dorflehrer, der etwas Deutsch kann und gedolmetscht hat. Nun wollen sie alles einladen und unten im Dorf versuchen, die Enfield wieder zum Laufen zu bekommen. Der Weg ist zum Glück abgetrocknet, also komme ich mit meiner Maschine gut den Berg runter. Im Hinterhof der beiden, die mich abgeholt haben, ist schon ein Pulk Leute versammelt, die allesamt helfen wollen (oder zumindest so tun, als ob). Zwischen Hühnern und den Teilen eines alten Jeeps stehen sicher fünf Leute ums Moped rum. Nachdem wieder sämtliche Schalthebel demontiert wurden, kommt einer auf die Idee, mal den Kasten links unten an der Enfield aufzuschrauben. Violà, hier steckt die Kupplung! Kommentare bezüglich „wie gut sollte ich mein Gefährt kennen, bevor ich mit ihm durch Russland fahre“, verkneife ich mir jetzt…
Bis spät in die Nacht versuchen alle, irgendwie die neuen Kupplungsschreiben zu montieren, doch vergeblich. Sie scheinen um einiges breiter als die alten Scheiben, und sobald sie alle montiert haben, geht der Kupplungskasten nicht mehr zu. Daniel und ich können nur fassungslos zuschauen, uns lässt man gar nicht in die Nähe der Baustelle. 

Schrauben im Hinterhof
Irgendwann nach Einbruch der Dunkelheit geben sie schließlich auf. Wir werden ins Haus bugsiert und an den reich gedeckten Küchentisch gesetzt. Hier finden wir raus, dass die beiden, die uns abgeholt haben, Brüder sind. Wir sind im Haus der Mutter, die uns bekocht und anschließend ein Bett für die Nacht herrichtet. Wir schlafen anscheinend in ihrem Zimmer, während sie und die Jungs auf Betten im Wohnzimmer unterkommen.
Das Haus wie auch das Dorf sind fast wie aus einer anderen Zeit. Es gibt keine geteerten Wege, überall rennen Hühner, Kühe und Schweine rum, und das Wasser wird im Dorfbrunnen geholt. Der Hühnerstall im Hinterhof dient als Toilette, größere Geschäfte werden über einem Loch im Boden hinter einem Verschlag verrichtet. Im Haus selbst ist alles krumm und schief, die Dielen knarren und die wenigen Türen sind so verzogen, dass sie nicht mehr ordentlich schließen.
Nach einer kurzen, aber warmen und mückenfreien Nacht machen wir uns wieder ans Schrauben. Diesmal sind zum Glück nur noch die beiden Jungs und wir anwesend, was das Ganze etwas vereinfacht. Zunächst probieren wir, eine Kupplungsscheibe wegzulassen, damit der Kasten ordentlich schließt. Da die Enfield (natürlich) mal wieder nicht anspringt, schieben wir sie mehrmals einen steilen Berg rauf um sie anrollen zu lassen. Doch vergeblich – die Kupplung hat keinen Griff und sie springt nicht mal an.
Die beiden Jungs müssen zur Arbeit nach Kazan, und wir bleiben alleine zurück. Zuvor schicken sie uns doch den wohl Einzigen im Dorf, der ein Laptop samt UMTS Stick besitzt, damit wir evtl. den Konstrukteur der Diesel-Enfield kontaktieren und um Rat bitten können. Eins der Probleme, wenn man eine Maschine hat, von der es in dieser Form deutschlandweit nur acht Stück gibt – keiner weiß irgendwas darüber, es gibt keine Schrauberbücher, Erfahrungsberichte, Anleitungen…
Die Internetverbindung funktioniert mehr schlecht als recht, und so versuchen Daniel und ich nochmal, die Kupplung zu demontieren und neu anzubauen. Diesmal zieht Daniel die Schrauben der Kupplung bombenfest an, und tatsächlich – nun geht auch der Kupplungskasten zu! Wir füllen nun zum sicher vierten Mal das neue Öl ein und wagen eine Probefahrt. Alles funktioniert perfekt! Das am vorherigen Abend war wohl ein Paradebeispiel für „Viele Köche verderben den Brei“…
Da wir gerade vor einer ganz akzeptabel ausgestatteten Werkstatt sitzen, machen wir gleich weiter. Wir wechseln endlich das Motoröl, das ich seit Moskau spazieren fahre und reinigen die Kette, was nach dem Schlammbad dringend nötig ist.
Im Vordergrund: Abendessen
Bei einer Probefahrt merke ich, dass sich mein Vorderrad kaum noch dreht. Der Schlamm ist nun unter dem eng anliegenden Spritzschutz getrocknet und blockiert das Rad fast völlig. Da alles so fest sitzt, dass ich den Spitzschutz nicht demontieren kann, muss ich schließlich das Vorderrad ausbauen, um den Dreck entfernen zu können. Sehr spassig, wenn man alleine ist (weil der zweite Mann ja das Hinterrad runterdrücken muss) und irgendwie die Tachowelle und das Rad wieder an die richtige Position bugsieren muss, damit die Achse durch passt…

 Gegen Abend sind die Maschinen wieder einsatzbereit und auch die Jungs sind mit einigen Kanistern Bier im Schlepptau von Kazan zurückgekehrt. Nach einer Fotosession mit der Familie und den Nachbarn setzen wir uns alle zusammen in die Hofecke und trinken das Bier aus Mutters guten Porzellantassen. Wir unterhalten uns mit Händen, Füßen und nicht zuletzt mithilfe von Block und Stift, trotzdem ist die Stimmung super. Etwas angeheitert wollen die Jungs nun noch ein paar Fotos von sich auf den Maschinen, was auch wieder sehr unterhaltsam wird.
Zu Bier muss Fisch sein!
 Gegen Mitternacht ist zum Glück Feierabend – hier im Dorf herrschen wohl normale Zeiten. Wir bekommen wieder Kost und Logie und dürfen am Sonntag lange ausschlafen.

4 Kommentare:

  1. In Fischen/Allgäu wär das nicht passiert! ;-)

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    1. Genau. In Fischen wäre es unvorstellbar, dass jemand zwei wildfremde Ausländer für zwei Tage kostenlos beherbergt und ihr Motorrad repariert...

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  2. ich würd ja gern mal sehen wie eure gastgeber auf die mopeds gekommen sind und n Gruppenbild mit Mama.

    Sehr unterhaltsam Übrigens (für uns)

    Mußt ja schon Oberschenkel wie GOZZILLA haben wenn du dauernd schieben mußt ;-)

    und grüße auch an deinen mitGENOSSEN

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  3. Seit der Reparatur im Hinterhof, einmal alle Kontakte abschleifen und fremdstarten vom KFZ springt sie (bis jetzt) ohne zu mucken an... blöd, und das gerade, nachdem wir den Deal "ein Bier pro Anschieben" festgemacht hatten :D

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