Russland heißt uns gleich mit einem nächtlichen Starkregen
willkommen, der den ehemals guten Weg, den wir zum Übernachten abgefahren
waren, in einen schlammigen Hang verwandelt. Mit Müh und Not rutschen wir
zurück zur befestigten Straße, um gleich danach vor dem nächsten Problem zu
stehen. Daniel wird vor mir immer langsamer und fährt schließlich rechts ran.
Als ich in frage, was los sei, meint er nur: „Hoffentlich hat sich mein Gaszug
nur ausgehängt…“. Leider hat er sich nicht ausgehängt, sondern ist direkt
hinter dem Hebel gerissen. Daniel hat zwar einen Ersatzzug dabei, dummerweise
fehlt uns aber ein Seitenschneider, mit dem wir den neuen Zug zurechtschneiden
können. Über einen Kontakt in Irkutsk telefonieren wir uns umständlich Hilfe
herbei. Und tatsächlich tauchen nach ein paar Stunden Warterei im Regen Biker
aus Ulan Ude auf, die uns helfen die Enfield wieder flott zu machen.
Schließlich geleiten sie uns zur Garage es Bikeclubs von Ulan Ude, wo wir nächtigen dürfen und anderntags im Konvoi nach Baikalsk zu einem Bikefestival fahren.
Baikalsk ist ein kleiner Ort direkt am Baikalsee. Auf dem
Weg dorthin spricht uns ein australisches Pärchen an, die zu zweit auf einer
KTM unterwegs sind. Wir laden sie ein und sie begleiten uns aufs Festival. Dort
treffen wir auch Roman und Anja wieder, die beiden Biker, die uns in
Schelesnogorsk aufgenommen hatten. Es läuft wie auf dem letzten Festival – wir
kommen gar nicht dazu, unsere eigenen Lebensmittel- und Alkoholvorräte
anzurühren, weil wir von unseren Zeltnachbarn ständig versorgt werden. Neben
all dem Feiern kommt trotzdem immer mal wieder das Gespräch auf die
Landespolitik, und man merkt deutlich, dass dem Großteil durchaus bewusst ist,
dass mit der Putin-Regierung so einiges im Argen liegt.
Gruppenfoto auf dem Festival |
Wir lassen es uns gut gehen, aber danach benötigen unsere
Maschinen dringend etwas Zuwendung. Daniels Enfield springt immer seltener an,
und mein Simmering ist wieder undicht geworden. Die Mongolenmethode zum
Abdichten war wohl doch nicht ganz so effektiv…
Auf dem Festival treffen wir zum Glück Slava, einen Biker aus Irkutsk. Er verschiebt kurzerhand einen geplanten Ausflug und fährt mit uns zu seiner Werkstatt. Hier bauen wir bei meiner Maschine einen neuen Simmering ein und wechseln das Gabelöl, bei Daniels Enfield reinigen wir den den Startermotor. Nach vielen tausend Kilometern scheint das Problem endlich behoben – die Enfield startet ohne Mucken von selbst!
Auf dem Festival treffen wir zum Glück Slava, einen Biker aus Irkutsk. Er verschiebt kurzerhand einen geplanten Ausflug und fährt mit uns zu seiner Werkstatt. Hier bauen wir bei meiner Maschine einen neuen Simmering ein und wechseln das Gabelöl, bei Daniels Enfield reinigen wir den den Startermotor. Nach vielen tausend Kilometern scheint das Problem endlich behoben – die Enfield startet ohne Mucken von selbst!
Slava auf seiner Maschine |
Da es recht spät geworden ist, übernachten wir bei Slava. Auch
hier fühlen wir uns wieder wie Gott in Frankreich und dürfen seine neuesten
Elektronikspielereien bewundern. Am nächsten Tag begleitet er uns noch zur
Abfahrt Richtung Krasnojarsk. Als wir einen Tag später dort ankommen, wundern wir
uns, wieso diese dicke Dunstwolke über der gesamten Stadt liegt. Erst jetzt
erfahren wir von den verheerenden Waldbränden, die wohl in der gesamten Region
wüten und bereits viele Menschenleben gekostet haben. Wir hatten wohl viel
Glück, denn an unserer Route war davon nichts zu sehen – wir hatten immer
arglos im Wald gezeltet.
In Krasnojarsk kommen wir bei einer Bikerin unter, die wir
bereits auf dem Hinweg auf dem ersten Festival kennengelernt hatten. Wir halten
es zwei Tage bei nahezu südostasiatischem Klima in der Stadt aus, dann fahren
wir zu dritt weiter Richtung Novosibirsk. Hier soll tags darauf eins der
größten Bikefestivals des Landes stattfinden. Da es über 800 km Strecke sind,
nächtigen wir zwischendrin im Bikepost von Achinsk.
Anderntags werden wir frühmorgens um halb 6 geweckt und
fahren im Konvoi weiter. Leider regnet es die meiste Zeit, und die Enfield mag
auch öfter mal nicht mehr anspringen. Die Reparatur in Irkutsk war wohl doch
nicht genug…
Im Stadtchaos von Novosibirsk versuchen wir das
Festivalgelände zu finden. Nach einigem Umherirren und viel Warterei auf die
Dame, die ihre Maschine wohl nicht wirklich beherrscht, hat ein lokaler Biker
endlich Erbarmen und führt uns hin. Das Festival ist zwar wirklich
beeindruckend, aber für meinen Geschmack zu groß. Da so viel los ist, wird das
Ganze irgendwie unpersönlich…
Weiter geht es Richtung Volgograd, das hierzulande
vermutlich als Stalingrad noch gut bekannt ist. Die Pausen werden immer
seltener, wir halten nur noch zum Tanken und für Reparaturen. Mitten auf der
Strecke springt meine Susi plötzlich nicht mehr an. Ich befürchte schon das
Schlimmste, aber zum Glück hat sich nur ein Batteriekontakt gelockert.
Eigentlich kein Wunder nach den vielen tausend Kilometern holpriger Landstraße…
Kurz vor Volgograd stoppen wir bei einem Einkaufscentrum um
über das offene Wifi nach Couchsurfern zu suchen. Wir werden prompt fündig,
doch nicht nur das. Daniel erfährt auch, dass er nach vielen Jahren Warten
endlich sein Medizinstudium beginnen kann. Das Dumme dabei: Er muss sich in
wenigen Tagen persönlich einschreiben. Der geplante Umweg übers Schwarze Meer
ist somit wohl hinfällig, jetzt heißt es Gas geben!
In Volgograd gönnen wir uns noch eine letzte Pause bei
außerordentlich netten Couchsurfern. Nina hat uns aufgenommen, um mal wieder
Deutsch zu sprechen. Sie und ihr Mann wollen irgendwann mit der kleinen Tochter
nach Deutschland ziehen, am liebsten nach München.
Wir kommen in der luxuriösen Wohnung der Mutter unter, die
gerade in Griechenland im Urlaub ist. Sie ist wohl eine Richterin im Ruhestand,
was die drei Badezimmer und zwei Schlafzimmer erklärt. Sogar die Katze hat ein
eigenes Badezimmer – sie hat gelernt, das Waschbecken als Katzenklo zu
verwenden!
Wieder kommen wir uns vor wie die Könige. Die beiden fahren
Essen, Bier und Wodka auf, und wir sitzen den ganzen Abend zusammen. Sie
erzählen uns, dass die Wohnungspreise in Volgograd noch weit über denen in
Moskau liegen, der Verdienst hier jedoch um einiges geringer ausfällt. Ihre
Prognosen für die zukünftige finanzielle und politische Situation im Land
fallen düster aus, alles in allem wollen sie so bald als möglich nach
Deutschland ziehen. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob wir wirklich im Gelobten
Land wohnen, aber sie sind fest davon überzeugt, dass es nur besser sein kann.
Na dann – ich drück dir die Daumen, Nina!
Am nächsten Tag bekommen wir eine ausgedehnte Stadtführung.
Volgograd ist sauber, aufgeräumt und insgesamt meine Lieblingsstadt Russlands.
Wir besuchen das Panoramamuseum, in dem der Krieg erstaunlich gut und neutral
aufgearbeitet ist, und die riesengroße Statue "Rodina mat sowjot!" (in etwa „Mutter Heimat ruft euch!“). Sie
wurde 1967 gebaut, um dem Sieg der sowjetischen Streitkräfte zu gedenken und ist irre 85 Meter hoch.
Rodina mat sowjot! |
Abends revanchieren wir uns für die Gastfreundschaft mit
Kässpatzen und Mousse au Chocolat. Die beiden Gerichte kommen zum Glück gut an,
und wir müssen sogar die Rezepte da lassen.
Anderntags richtet Daniel noch mal seine Kupplung, während ich mit Nina eine Runde mit dem Motorrad drehe. Sie erzählt, dass sie früher Offroad-Rennen mit Geländewagen gefahren ist, deshalb muss ich zum Glück nicht allzu zurückhaltend fahren.
Anderntags richtet Daniel noch mal seine Kupplung, während ich mit Nina eine Runde mit dem Motorrad drehe. Sie erzählt, dass sie früher Offroad-Rennen mit Geländewagen gefahren ist, deshalb muss ich zum Glück nicht allzu zurückhaltend fahren.
Nun, da die Enfield wieder ordentlich kuppelt, fahren wir
weiter Richtung Ukraine. Wir haben noch ein paar Rubel übrig, die wir an einem
kleinen Restaurant ein paar Kilometer vor der Grenze in Piroggen und Tschai
investieren. Als wir weiterfahren wollen, gibt es noch eine letzte Überraschung
made in Russia: Die Enfield hat einen platten Hinterreifen! Wir überlegen erst,
an Ort und Stelle selbst zu versuchen, den Mantel abzuziehen und den Schlauch
zu tauschen, doch nach den schlechten Erfahrungen in der Mongolei mit unseren
zu kleinen Montiereisen beschließen wir, die Maschine doch besser zur nächsten
Werkstatt zu schieben. Die sind in Russland zum Glück nie weit, und nach ein
paar Stunden ist das Rad wieder fast wie neu.
Allerdings ist uns bei der Reparatur aufgefallen, dass die Kette wohl über viele Kilometer zu locker gespannt war und deshalb einige Zähne des Kettenblatts „gefressen“ hat. Das nenn ich mal überzeugende indische Qualität! Es wird also immer spannender…
Die Ukraine empfängt uns mit Regen. Ich halte an, um mir
meine Regenkombi anzuziehen. Daniel hat seine Kombi vermutlich in Krasnojarsk
liegen lassen und fährt deshalb schon mal weiter. Ich hole ihn ja dann sicher
demnächst ein...
Ich fahre weiter und wundere mich nach einiger Zeit, dass ich ihn immer noch nicht sehe. Nach Verlassen eines Ortes bin ich deshalb froh, wieder Gas geben zu können. Dummerweise kommt nach der nächsten Kurve gleich wieder ein Ortsschild, und ich lasse die Maschine ausrollen – da steht auch schon ein Polizist am Straßenrand und winkt mich raus. Angeblich haben sie mich mit der Laserpistole direkt am Ortsschild angepeilt, wo ich offenbar 85 statt der erlaubten 60 km/h drauf hatte. Er erzählt mir erst, dass die Strafe umgerechnet über 50 € betragen würde. Ich sage ihm, dass ich keine ukrainischen Rivnas dabei habe (was auch stimmt), und krame zwei verknitterte 10 Dollar-Scheine hervor. Er guckt erst skeptisch, doch genau in dem Moment winkt der Kollege einen LKW raus. Jetzt hat der Polizist es plötzlich eilig, bedeutet mir nur, die 20 Dollar unauffällig auf den Boden des Fahrzeugs zu legen und zu verschwinden.
Teils bin ich froh, so billig davongekommen zu sein, aber
andererseits ärgert mich diese Korruption auch. Daniel hat zum Glück ein paar
Kilometer weiter an einer Tankstelle gewartet und zusammen fahren wir weiter. In
den letzten Monaten haben wir uns angewöhnt, nicht mehr allzu viel auf
Verkehrsschilder zu geben, und so überholen wir bei einem ziemlich sinnlosen
Überholverbot wieder einen langsamen LKW. Daniel fährt vorneweg, als an mir
plötzlich eine Polizei mit Blaulicht vorbeirauscht. Ich will mich schon freuen,
dass sie mich diesmal nicht angehalten haben, da sehe ich sie schon, wie sie
in der nächsten Kurve vor mir Daniel rausgezogen haben und mich nun auch anhalten.
Diesmal haben sie
mein Vergehen sogar beweissicher auf Film gebannt. Sie waren wohl irgendwo hinter
uns und haben die Videokamera angeschaltet, nachdem Daniel überholt hat, wohl
wissend, dass ich folgen werde. Natürlich reden auch sie erst wieder was von
„Protokoll, Protokoll“, nur um dann später generös anzubieten, darauf zu
verzichten. Sie würden sich mit 35 Dollar pro Nase zufriedengeben. Ich habe nur
noch 20 Dollar übrig, und allzu viele Rivnas hat Daniel auch nicht mehr. Nach
einigen Diskussionen kommt heraus, dass sie wirklich nur mich auf Video haben
und Daniels illegalen Überholvorgang nicht beweisen können. So kommen wir
schließlich mit 35 Dollar davon.
Da heute offenbar alle Polizisten ihre eigene Kasse
aufbessern müssen, fahren wir vorsichtig und ordentlich weiter. Doch auch das
schützt uns nur bedingt: An einem Polizeiposten werden wir wieder angehalten,
diesmal werden wir der Trunkenheit am Steuer verdächtigt. Zuerst darf Daniel
pusten – natürlich zeigt der Alkomat 0,0 Promille. Als ich an der Reihe bin,
verdeckt er Polizist das Display mit der Hand und drückt erst irgendwelche
Knöpfe am Gerät, um uns dann einen Wert jenseits der 1,0 Promille zu präsentieren.
Bei einem derart dämlichen Versuch kann ich nur lachen. Ich bestehe auf eine
erneute Messung und schaue diesmal sofort auf die Anzeige – na also. Zum Glück
sieht der Polizist auch ein, hier keine Chancen zu haben und lässt uns
unverrichteter Dinge ziehen.
Als wir uns der slowakischen Grenze nähern, wird das Wetter
zum Glück besser, die Strecke durch die Karpaten wird endlich wieder
interessanter und polizeiärmer. Nach den schlechten – und teuren – Erfahrungen
des Tages wollen wir die Ukraine unbedingt noch heute verlassen, doch auch hier
will das Land uns nicht ganz gehen lassen. Kurz vor der Grenze springt die
Kette der Enfield bei einer Bodenwelle vom ausgeschlagenen Kettenblatt – zum
Glück verkeilt sie sich nicht und Daniel kann kontrolliert rechts ranfahren. Wir
spannen die Kette extrem nach und fahren langsam bis zur Grenze. Inzwischen ist
es dunkel geworden und vor der Grenze staut es sich. Eigentlich hatten wir
gehofft, halbwegs schnell in die Slowakei zu kommen… Deprimiert stellen wir uns
an und richten uns auf eine stundenlange Warterei ein, da spricht uns ein
Ukrainer vor uns in der Reihe auf Deutsch an. Er ist beeindruckt von unserer
Reise und will uns helfen. Die Grenzer kennt er offenbar persönlich, und wenig
später dürfen wir auf einer Sonderspur an allen vorbei fahren. Schnell werden
wir abgefertigt und fahren zur EU-Einreisekontrolle. Hier ist der Stau noch
länger, doch wir werden wieder vorbei gewinkt. Auch der Grenzer auf der slowakischen Seite interessiert sich mehr für das dieselbetriebene Motorrad als für unser
Gepäck oder die Papiere, und so sind wir nach einem lockeren Plausch endlich
wieder auf guten EU-Straßen unterwegs.
Der letzte Morgen der Reise - in der Slowakei |
Es ist nun nach Mitternacht und stockfinster, deshalb zelten
wir kurz nach der Grenze auf einem abgemähten Feld. Wir beide wollen nun nur
noch die Enfield wenn möglich aus eigener Kraft nach Hause bringen und
beschließen deshalb, gleich am nächsten Tag die restlichen 1200 km nach Hause zu
fahren. Die Autobahn in der Slowakei ist zum Glück weitestgehend fertiggestellt,
leer und schlaglochfrei. Wir fahren so schnell wie es der Dieselmotor zulässt
und halten nur zum Tanken und um die österreichische Vignette zu kaufen. Auf
deutscher Seite hält uns ein kleiner Stau nur kurz auf und so findet die Reise
mit einer 19stündigen Marathonetappe ein würdiges ENDE.
Danke fürs Lesen! :)