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Freitag, 29. Juni 2012

Banja am Baikalsee


Die letzten Kilometer nach Irkutsk ziehen sich etwas, gerade weil nach Krasnojarsk auf weiten Strecken kein Asphalt mehr vorhanden ist und man über mehr oder weniger gute Schotterpisten fährt – gerade die Enfield hat sowas offensichtlich nicht so gerne und so kommt Daniels Maschine langsam voran und macht auch wieder Probleme. Zuerst mag sie an der Tankstelle nicht anspringen, und dann ausgerechnet mitten im Stau der Innenstadt von Irkutsk. 

Die Enfield vor Irkutsk

 Da wir etwas zu früh dran sind, um unsere Couchsurferin zu treffen, setzen wir uns in ein Cafè und warten. Kurz vor 7 machen wir uns auf zu der Adresse, die Yandex Maps (quasi eine russische Version von Google) ausgespuckt hat. Wir fahren die Straße auf und ab, finden aber partout keine Hausnummer 3. Als wir denselben Typen, der gerade im Garten werkelt, zum zweiten Mal fragen, erbarmt er sich unser und telefoniert kurz. Es stellt sich heraus, dass es in Irkutsk noch eine weitere Straße mit demselben Namen gibt – etwas mehr als 10 km entfernt. Da diese aber nicht in meinem GPS ist und wir keinen Wegpunkt haben, setzt er sich kurzerhand in sein Auto und fährt vorneweg, um uns den Weg zu zeigen. Er sei auch Biker, und unter Kollegen hilft man ja schließlich gerne – super!

Bei Masha, unserer Couchsurferin angekommen, breiten wir unser Hab und Gut in ihrer Küche aus. Am nächsten Tag wollten wir eigentlich das Visum für die Mongolei beantragen, aber da wir zu spät dran sind, wollen sie den Antrag nicht mehr entgegennehmen. Montag zwischen 10 und 13 Uhr bitte! Na toll, jetzt müssen wir das gesamte Wochenende in Irkutsk rumgammeln…

Wirklich faul wird das Wochenende aber nicht, denn an der Enfield gibt es wieder einiges zu reparieren. Die Scheißnaht der hinteren Auspuffhalterung ist gebrochen, dadurch hat der Auspuff noch mehr als sonst vibriert und auch die Mutter der vorderen Halterung runtergewackelt. Eigentlich kein Problem – neue Mutter drauf drehen und fertig. Blöd nur, dass es ein englisches Modell ist, an dem alles Inch und nix metrisch ist. Und finde mal einer eine Mutter mit Inch-Gewinde in Irkutsk! Wir klappern zwei Tage lang Baumärkte, Läden für Autozubehör und alle möglichen anderen Geschäfte ab, aber vergeblich. 

Abends verkünsteln wir uns in Mashas Küche, beide froh, dass wir endlich mal wieder einen ordentlichen Herd haben und kochen können. Freitags gibt es Chili con Carne, Sonntags kochen wir endlich mal wieder Kässpatzen, bei denen wir aber nicht sicher sind, wie gut sie bei Masha und ihrem Freund ankommen. Egal, uns hats geschmeckt ;)

Das Auftauchen des Freunds ist an sich noch eine recht witzige Story: Sonntagmorgens um 3 sitzen wir immer noch vor unseren Laptops in der Küche (wenn man mal Internet hat, muss man das schließlich nutzen), da klopft es plötzlich am Fenster. Was, Betrunkene vor dem Haus? Wir können draußen nichts erkennen und ignorieren das Klopfen. Masha im Nebenzimmer hat aber offensichtlich Besuch erwartet, denn wir hören die Tür und die beiden verschwinden in ihrem Zimmer. Fünf Minuten später kommt der Typ zu uns in die Küche – allerdings bereits ohne Hose. „Hey guys, are you from Germany? Do you have a Micro-USB cable?“ Ich gebe ihm das Gewünschte und er verschwindet wieder in Mashas Zimmer, das die beiden bis Sonntagnachmittag nicht verlassen.

Wir machen uns weiter auf die erfolglose Suche nach einem Schweißer und einer Inch-Mutter.
Erst über unsere Freunde in Krasnojarsk kommen wir an einen Biker aus Irkutsk, mit dem wir uns montags nach Erledigung der Visaformalitäten treffen.
Er fährt mit uns zu einer Werkstatt, in der kurzerhand die Stange mit dem Inch-Gewinde durch eine metrische ersetzt und die Auspuffhalterung wieder angeschweißt wird. Der Mechaniker biegt auch gleich noch die Fußraste gerade (Daniel hatte am Tag davor aufgrund einer ziemlich mies verlegten Straßenbahnschiene Kontakt zum irkutsker Asphalt – zum Glück nur in Schrittgeschwindigkeit), und die Enfield ist wieder fast wie neu. 

Aussicht auf ein kleines Eck des Baikalsees

Obwohl es schon wieder recht spät am Abend ist, machen wir uns noch auf dem Weg Richtung Olchon, eine Insel mitten im Baikalsee. Wir campieren auf ca. halber Strecke und fahren am nächsten Tag die restlichen Kilometer über größtenteils akzeptable Schotterpiste zur (kostenlosen) Fähre auf die Insel. Während der Überfahrt treffen wir ein paar Russen, die mit zwei vollbeladenen Autos übersetzen, um sich in einer Bucht ein paar schöne Tage beim Fischen und Wodka trinken zu machen. Spontan laden sie uns ein – da haben wir nichts dagegen!

Auf der Insel gibt es nur eine Schotterpiste, auf der wir recht langsam vorankommen. Die Autos ziehen alle an uns vorbei, und ich denke schon, dass die Einladung somit revidiert ist, da sehe ich, wie ein Auto an der Abzweigung zu einem Sandweg auf uns wartet. Wir heizen noch ein paar Kilometer über Sand und Steppe, dann stehen wir an einem recht steilen Grashang, der hinab zu einer Bucht führt. Vorsichtig, um nicht auf einer sandigen Stelle abzurutschen und die Maschine im Baikalsee zu versenken, fahren wir den Hang runter und suchen ein halbwegs gerades Plätzchen für Maschinen und Zelt. 

"Unsere" Bucht am Baikalsee

 Die Russen packen Gruppenzelt, Grill, tonnenweise Lebensmittel, Fischernetze und noch einiges mehr aus, da nähert sich plötzlich ein olivgrüner Jeep. Irgendwelche halboffiziell aussehenden Leute steigen aus und unterhalten sich mit unseren Leuten. Ausweise werden hervorgekramt und Dokumente ausgefüllt. Daniel und ich vermuten schon, dass die Jungs Ärger kriegen, weil sie ohne Angelerlaubnis unterwegs sind, doch es geht offensichtlich nur um die Kosten fürs Campen im Nationalpark. Sie erzählen uns später, dass der Betrag eigentlich viel höher sei, sie aber mit einer Zahlung von 500 Rubel (in die Tasche der Kontrolleure natürlich) davon gekommen seien.

Kaum ist alles aufgebaut, paddeln zwei der Jungs mit einem Schlauchboot auf den See um die Netze zu setzen. Sie erzählen uns, dass sie letztes Jahr sicher 50 Kilogramm Fisch gefangen hätten, deshalb freue ich mich schon auf den bevorstehenden Fang.
Nachdem die erste Ladung Schaschlik vertilgt und die erste Flasche Wodka angebrochen ist, paddle ich zusammen mit Alexeij (er ist offensichtlich fürs Fischen zuständig) raus, um die Netze zu überprüfen. Für mich eine großartige Möglichkeit noch was zu lernen, denn bisher habe ich noch nie auf diese Art gefischt – wer weiß, wann man das mal brauchen kann. Leider haben wir keinen Erfolg, nur in einem Netz hat sich ein kleiner Omul (ein im Baikalsee endemischer Fisch, den es sonst nirgendwo anders gibt) verfangen. Er wird gleich roh mit Dill, Salz und Öl zubereitet.

Bereit zur Ausfahrt

Ohne Fisch verbringen wir den Abend notgedrungen damit, Schaschlik und Stockbrot zu grillen sowie Unmengen Wodka zu trinken. Immer wenn wir denken, der Vorrat der Truppe wäre endlich erschöpft, ziehen sie aus irgendeiner Ecke noch eine Flasche hervor. Ablehnen ist nicht, und als wir Bedenken bezüglich unseres morgigen Zustandes äußern, erklären sie uns, dass man von diesem Wodka garantiert keinen Kater bekommt – und tatsächlich, die Marke heißt übersetzt so viel wie „Kein-Kater-Wodka“. Stimmt auch weitestgehend, denn obwohl wir zu siebt über den Abend hinweg sieben Flaschen vernichtet haben, geht es uns allen am nächsten Morgen halbwegs akzeptabel, von einer Ausnahme mal abgesehen.

Die Ausnahme, Pascha, hatte sich im Laufe des Abends großzügig am Biervorrat der Truppe vergriffen und vergnügte sich den Großteil der Nacht damit, in seinem Auto über den steilen Wiesenhang zu heizen. Wir hatten schon immer Sorge, dass er entweder unsere Motorräder umfährt oder aber sich und sein Auto im Baikalsee versenkt, doch bis auf ein paar Kratzer im Bodenblech dürfte er recht gut davongekommen sein.
Am nächsten Morgen wollen ein paar der Jungs in den Ort fahren um Nachschub zu kaufen, und ich begleite sie, damit ich wenigstens einen Teil unserer „Schulden“ abzahlen kann. Eigentlich hatte ich erwartet, dass einer der Nüchternen fährt, doch am Steuer sitzt bereits Pascha mit einer frischen Dose Bier. Obwohl garantiert noch nicht ausgenüchtert, fährt er halbwegs sicher bis zur Schotterstraße – wo er dann den Fahrersitz doch einem etwas Fahrtauglicherem überlässt. Die Polizei ist ja schließlich auch auf der Insel tätig...

Eigentlich wollten wir im Ort Fisch kaufen, aber anscheinend ist die Population soweit zurückgegangen, dass kaum einer der Fischer noch etwas fängt. Nach einigem Suchen finden wir trotzdem noch einen Laden, der getrockneten und geräucherten Omul hat. Wir decken uns mit Fisch, Bier und Wodka ein und fahren zurück zum Strand, wo der Fisch sofort verkostet wird. Ich glaube, ich habe noch nie so guten getrockneten Fisch gegessen!
Am Nachmittag fahre ich nochmals mit Alexeij raus, um ein weiteres engmaschigeres Netz zu legen. Als wir wieder zurückkommen, haben die Jungs bereits die Banja aufgebaut: Ein rechteckiges Zelt, drinnen ein kleiner Holzofen, dessen Schornstein nach draußen ragt. Wir heizen ordentlich ein und sitzen wenig später mit kühlem Bier und Trockenfisch in der heißen Banja. Zum Abkühlen direkt in den fünf Grad kalten Baikalsee springen – gibt’s denn was Besseres? 

Banjazelt



Die Banja wird vorgeheizt

Am nächsten Tag brechen wir gegen Mittag auf und fahren zurück Richtung Irkutsk. Auf der Fähre treffen wir Nico, einen Deutschen aus Freiburg. Er ist schon seit zwei Monaten mit dem Rucksack in Russland unterwegs und will wie wir demnächst in die Mongolei. Als er eher spasseshalber fragt, ob wir ihn nicht nach Ulan-Bator mitnehmen können, stimmen wir nach kurzer Überlegung zu. Schließlich sind wir bis Moskau zu dritt auf zwei Motorrädern unterwegs gewesen, dann geht das auf den letzten paar Metern nach UB auch noch und ist vielleicht ganz witzig. Leider wird sein Visum erst gegen Montag fertig, deshalb verbringen wir nun noch ein weiteres Wochenende in Irkutsk.

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