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Sonntag, 23. September 2012

Der Heimweg durch Russland - die Highlights



Russland heißt uns gleich mit einem nächtlichen Starkregen willkommen, der den ehemals guten Weg, den wir zum Übernachten abgefahren waren, in einen schlammigen Hang verwandelt. Mit Müh und Not rutschen wir zurück zur befestigten Straße, um gleich danach vor dem nächsten Problem zu stehen. Daniel wird vor mir immer langsamer und fährt schließlich rechts ran. Als ich in frage, was los sei, meint er nur: „Hoffentlich hat sich mein Gaszug nur ausgehängt…“. Leider hat er sich nicht ausgehängt, sondern ist direkt hinter dem Hebel gerissen. Daniel hat zwar einen Ersatzzug dabei, dummerweise fehlt uns aber ein Seitenschneider, mit dem wir den neuen Zug zurechtschneiden können. Über einen Kontakt in Irkutsk telefonieren wir uns umständlich Hilfe herbei. Und tatsächlich tauchen nach ein paar Stunden Warterei im Regen Biker aus Ulan Ude auf, die uns helfen die Enfield wieder flott zu machen.

Schließlich geleiten sie uns zur Garage es Bikeclubs von Ulan Ude, wo wir nächtigen dürfen und anderntags im Konvoi nach Baikalsk zu einem Bikefestival fahren.
Baikalsk ist ein kleiner Ort direkt am Baikalsee. Auf dem Weg dorthin spricht uns ein australisches Pärchen an, die zu zweit auf einer KTM unterwegs sind. Wir laden sie ein und sie begleiten uns aufs Festival. Dort treffen wir auch Roman und Anja wieder, die beiden Biker, die uns in Schelesnogorsk aufgenommen hatten. Es läuft wie auf dem letzten Festival – wir kommen gar nicht dazu, unsere eigenen Lebensmittel- und Alkoholvorräte anzurühren, weil wir von unseren Zeltnachbarn ständig versorgt werden. Neben all dem Feiern kommt trotzdem immer mal wieder das Gespräch auf die Landespolitik, und man merkt deutlich, dass dem Großteil durchaus bewusst ist, dass mit der Putin-Regierung so einiges im Argen liegt. 

Gruppenfoto auf dem Festival
 Wir lassen es uns gut gehen, aber danach benötigen unsere Maschinen dringend etwas Zuwendung. Daniels Enfield springt immer seltener an, und mein Simmering ist wieder undicht geworden. Die Mongolenmethode zum Abdichten war wohl doch nicht ganz so effektiv…
Auf dem Festival treffen wir zum Glück Slava, einen Biker aus Irkutsk. Er verschiebt kurzerhand einen geplanten Ausflug und fährt mit uns zu seiner Werkstatt. Hier bauen wir bei meiner Maschine einen neuen Simmering ein und wechseln das Gabelöl, bei Daniels Enfield reinigen wir den den Startermotor. Nach vielen tausend Kilometern scheint das Problem endlich behoben – die Enfield startet ohne Mucken von selbst!

Slava auf seiner Maschine
 Da es recht spät geworden ist, übernachten wir bei Slava. Auch hier fühlen wir uns wieder wie Gott in Frankreich und dürfen seine neuesten Elektronikspielereien bewundern. Am nächsten Tag begleitet er uns noch zur Abfahrt Richtung Krasnojarsk. Als wir einen Tag später dort ankommen, wundern wir uns, wieso diese dicke Dunstwolke über der gesamten Stadt liegt. Erst jetzt erfahren wir von den verheerenden Waldbränden, die wohl in der gesamten Region wüten und bereits viele Menschenleben gekostet haben. Wir hatten wohl viel Glück, denn an unserer Route war davon nichts zu sehen – wir hatten immer arglos im Wald gezeltet. 

In Krasnojarsk kommen wir bei einer Bikerin unter, die wir bereits auf dem Hinweg auf dem ersten Festival kennengelernt hatten. Wir halten es zwei Tage bei nahezu südostasiatischem Klima in der Stadt aus, dann fahren wir zu dritt weiter Richtung Novosibirsk. Hier soll tags darauf eins der größten Bikefestivals des Landes stattfinden. Da es über 800 km Strecke sind, nächtigen wir zwischendrin im Bikepost von Achinsk.
Anderntags werden wir frühmorgens um halb 6 geweckt und fahren im Konvoi weiter. Leider regnet es die meiste Zeit, und die Enfield mag auch öfter mal nicht mehr anspringen. Die Reparatur in Irkutsk war wohl doch nicht genug…

Im Stadtchaos von Novosibirsk versuchen wir das Festivalgelände zu finden. Nach einigem Umherirren und viel Warterei auf die Dame, die ihre Maschine wohl nicht wirklich beherrscht, hat ein lokaler Biker endlich Erbarmen und führt uns hin. Das Festival ist zwar wirklich beeindruckend, aber für meinen Geschmack zu groß. Da so viel los ist, wird das Ganze irgendwie unpersönlich… 

Weiter geht es Richtung Volgograd, das hierzulande vermutlich als Stalingrad noch gut bekannt ist. Die Pausen werden immer seltener, wir halten nur noch zum Tanken und für Reparaturen. Mitten auf der Strecke springt meine Susi plötzlich nicht mehr an. Ich befürchte schon das Schlimmste, aber zum Glück hat sich nur ein Batteriekontakt gelockert. Eigentlich kein Wunder nach den vielen tausend Kilometern holpriger Landstraße…

Kurz vor Volgograd stoppen wir bei einem Einkaufscentrum um über das offene Wifi nach Couchsurfern zu suchen. Wir werden prompt fündig, doch nicht nur das. Daniel erfährt auch, dass er nach vielen Jahren Warten endlich sein Medizinstudium beginnen kann. Das Dumme dabei: Er muss sich in wenigen Tagen persönlich einschreiben. Der geplante Umweg übers Schwarze Meer ist somit wohl hinfällig, jetzt heißt es Gas geben!

In Volgograd gönnen wir uns noch eine letzte Pause bei außerordentlich netten Couchsurfern. Nina hat uns aufgenommen, um mal wieder Deutsch zu sprechen. Sie und ihr Mann wollen irgendwann mit der kleinen Tochter nach Deutschland ziehen, am liebsten nach München.
Wir kommen in der luxuriösen Wohnung der Mutter unter, die gerade in Griechenland im Urlaub ist. Sie ist wohl eine Richterin im Ruhestand, was die drei Badezimmer und zwei Schlafzimmer erklärt. Sogar die Katze hat ein eigenes Badezimmer – sie hat gelernt, das Waschbecken als Katzenklo zu verwenden!

Wieder kommen wir uns vor wie die Könige. Die beiden fahren Essen, Bier und Wodka auf, und wir sitzen den ganzen Abend zusammen. Sie erzählen uns, dass die Wohnungspreise in Volgograd noch weit über denen in Moskau liegen, der Verdienst hier jedoch um einiges geringer ausfällt. Ihre Prognosen für die zukünftige finanzielle und politische Situation im Land fallen düster aus, alles in allem wollen sie so bald als möglich nach Deutschland ziehen. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob wir wirklich im Gelobten Land wohnen, aber sie sind fest davon überzeugt, dass es nur besser sein kann. Na dann – ich drück dir die Daumen, Nina!

Am nächsten Tag bekommen wir eine ausgedehnte Stadtführung. Volgograd ist sauber, aufgeräumt und insgesamt meine Lieblingsstadt Russlands. Wir besuchen das Panoramamuseum, in dem der Krieg erstaunlich gut und neutral aufgearbeitet ist, und die riesengroße Statue "Rodina mat sowjot!" (in etwa „Mutter Heimat ruft euch!“). Sie wurde 1967 gebaut, um dem Sieg der sowjetischen Streitkräfte zu gedenken und ist irre 85 Meter hoch.

Rodina mat sowjot!
Abends revanchieren wir uns für die Gastfreundschaft mit Kässpatzen und Mousse au Chocolat. Die beiden Gerichte kommen zum Glück gut an, und wir müssen sogar die Rezepte da lassen.
Anderntags richtet Daniel noch mal seine Kupplung, während ich mit Nina eine Runde mit dem Motorrad drehe. Sie erzählt, dass sie früher Offroad-Rennen mit Geländewagen gefahren ist, deshalb muss ich zum Glück nicht allzu zurückhaltend fahren. 

Nun, da die Enfield wieder ordentlich kuppelt, fahren wir weiter Richtung Ukraine. Wir haben noch ein paar Rubel übrig, die wir an einem kleinen Restaurant ein paar Kilometer vor der Grenze in Piroggen und Tschai investieren. Als wir weiterfahren wollen, gibt es noch eine letzte Überraschung made in Russia: Die Enfield hat einen platten Hinterreifen! Wir überlegen erst, an Ort und Stelle selbst zu versuchen, den Mantel abzuziehen und den Schlauch zu tauschen, doch nach den schlechten Erfahrungen in der Mongolei mit unseren zu kleinen Montiereisen beschließen wir, die Maschine doch besser zur nächsten Werkstatt zu schieben. Die sind in Russland zum Glück nie weit, und nach ein paar Stunden ist das Rad wieder fast wie neu.

Allerdings ist uns bei der Reparatur aufgefallen, dass die Kette wohl über viele Kilometer zu locker gespannt war und deshalb einige Zähne des Kettenblatts „gefressen“ hat. Das nenn ich mal überzeugende indische Qualität! Es wird also immer spannender…
Die Ukraine empfängt uns mit Regen. Ich halte an, um mir meine Regenkombi anzuziehen. Daniel hat seine Kombi vermutlich in Krasnojarsk liegen lassen und fährt deshalb schon mal weiter. Ich hole ihn ja dann sicher demnächst ein...

Ich fahre weiter und wundere mich nach einiger Zeit, dass ich ihn immer noch nicht sehe. Nach Verlassen eines Ortes bin ich deshalb froh, wieder Gas geben zu können. Dummerweise kommt nach der nächsten Kurve gleich wieder ein Ortsschild, und ich lasse die Maschine ausrollen – da steht auch schon ein Polizist am Straßenrand und winkt mich raus. Angeblich haben sie mich mit der Laserpistole direkt am Ortsschild angepeilt, wo ich offenbar 85 statt der erlaubten 60 km/h drauf hatte. Er erzählt mir erst, dass die Strafe umgerechnet über 50 € betragen würde. Ich sage ihm, dass ich keine ukrainischen Rivnas dabei habe (was auch stimmt), und krame zwei verknitterte 10 Dollar-Scheine hervor. Er guckt erst skeptisch, doch genau in dem Moment winkt der Kollege einen LKW raus. Jetzt hat der Polizist es plötzlich eilig, bedeutet mir nur, die 20 Dollar unauffällig auf den Boden des Fahrzeugs zu legen und zu verschwinden. 

Teils bin ich froh, so billig davongekommen zu sein, aber andererseits ärgert mich diese Korruption auch. Daniel hat zum Glück ein paar Kilometer weiter an einer Tankstelle gewartet und zusammen fahren wir weiter. In den letzten Monaten haben wir uns angewöhnt, nicht mehr allzu viel auf Verkehrsschilder zu geben, und so überholen wir bei einem ziemlich sinnlosen Überholverbot wieder einen langsamen LKW. Daniel fährt vorneweg, als an mir plötzlich eine Polizei mit Blaulicht vorbeirauscht. Ich will mich schon freuen, dass sie mich diesmal nicht angehalten haben, da sehe ich sie schon, wie sie in der nächsten Kurve vor mir Daniel rausgezogen haben und mich nun auch anhalten. 

 Diesmal haben sie mein Vergehen sogar beweissicher auf Film gebannt. Sie waren wohl irgendwo hinter uns und haben die Videokamera angeschaltet, nachdem Daniel überholt hat, wohl wissend, dass ich folgen werde. Natürlich reden auch sie erst wieder was von „Protokoll, Protokoll“, nur um dann später generös anzubieten, darauf zu verzichten. Sie würden sich mit 35 Dollar pro Nase zufriedengeben. Ich habe nur noch 20 Dollar übrig, und allzu viele Rivnas hat Daniel auch nicht mehr. Nach einigen Diskussionen kommt heraus, dass sie wirklich nur mich auf Video haben und Daniels illegalen Überholvorgang nicht beweisen können. So kommen wir schließlich mit 35 Dollar davon.

Da heute offenbar alle Polizisten ihre eigene Kasse aufbessern müssen, fahren wir vorsichtig und ordentlich weiter. Doch auch das schützt uns nur bedingt: An einem Polizeiposten werden wir wieder angehalten, diesmal werden wir der Trunkenheit am Steuer verdächtigt. Zuerst darf Daniel pusten – natürlich zeigt der Alkomat 0,0 Promille. Als ich an der Reihe bin, verdeckt er Polizist das Display mit der Hand und drückt erst irgendwelche Knöpfe am Gerät, um uns dann einen Wert jenseits der 1,0 Promille zu präsentieren. Bei einem derart dämlichen Versuch kann ich nur lachen. Ich bestehe auf eine erneute Messung und schaue diesmal sofort auf die Anzeige – na also. Zum Glück sieht der Polizist auch ein, hier keine Chancen zu haben und lässt uns unverrichteter Dinge ziehen.

Als wir uns der slowakischen Grenze nähern, wird das Wetter zum Glück besser, die Strecke durch die Karpaten wird endlich wieder interessanter und polizeiärmer. Nach den schlechten – und teuren – Erfahrungen des Tages wollen wir die Ukraine unbedingt noch heute verlassen, doch auch hier will das Land uns nicht ganz gehen lassen. Kurz vor der Grenze springt die Kette der Enfield bei einer Bodenwelle vom ausgeschlagenen Kettenblatt – zum Glück verkeilt sie sich nicht und Daniel kann kontrolliert rechts ranfahren. Wir spannen die Kette extrem nach und fahren langsam bis zur Grenze. Inzwischen ist es dunkel geworden und vor der Grenze staut es sich. Eigentlich hatten wir gehofft, halbwegs schnell in die Slowakei zu kommen… Deprimiert stellen wir uns an und richten uns auf eine stundenlange Warterei ein, da spricht uns ein Ukrainer vor uns in der Reihe auf Deutsch an. Er ist beeindruckt von unserer Reise und will uns helfen. Die Grenzer kennt er offenbar persönlich, und wenig später dürfen wir auf einer Sonderspur an allen vorbei fahren. Schnell werden wir abgefertigt und fahren zur EU-Einreisekontrolle. Hier ist der Stau noch länger, doch wir werden wieder vorbei gewinkt. Auch der Grenzer auf der slowakischen Seite interessiert sich mehr für das dieselbetriebene Motorrad als für unser Gepäck oder die Papiere, und so sind wir nach einem lockeren Plausch endlich wieder auf guten EU-Straßen unterwegs. 

Der letzte Morgen der Reise - in der Slowakei

Es ist nun nach Mitternacht und stockfinster, deshalb zelten wir kurz nach der Grenze auf einem abgemähten Feld. Wir beide wollen nun nur noch die Enfield wenn möglich aus eigener Kraft nach Hause bringen und beschließen deshalb, gleich am nächsten Tag die restlichen 1200 km nach Hause zu fahren. Die Autobahn in der Slowakei ist zum Glück weitestgehend fertiggestellt, leer und schlaglochfrei. Wir fahren so schnell wie es der Dieselmotor zulässt und halten nur zum Tanken und um die österreichische Vignette zu kaufen. Auf deutscher Seite hält uns ein kleiner Stau nur kurz auf und so findet die Reise mit einer 19stündigen Marathonetappe ein würdiges ENDE.

Danke fürs Lesen! :)

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