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Freitag, 29. Juni 2012

Banja am Baikalsee


Die letzten Kilometer nach Irkutsk ziehen sich etwas, gerade weil nach Krasnojarsk auf weiten Strecken kein Asphalt mehr vorhanden ist und man über mehr oder weniger gute Schotterpisten fährt – gerade die Enfield hat sowas offensichtlich nicht so gerne und so kommt Daniels Maschine langsam voran und macht auch wieder Probleme. Zuerst mag sie an der Tankstelle nicht anspringen, und dann ausgerechnet mitten im Stau der Innenstadt von Irkutsk. 

Die Enfield vor Irkutsk

 Da wir etwas zu früh dran sind, um unsere Couchsurferin zu treffen, setzen wir uns in ein Cafè und warten. Kurz vor 7 machen wir uns auf zu der Adresse, die Yandex Maps (quasi eine russische Version von Google) ausgespuckt hat. Wir fahren die Straße auf und ab, finden aber partout keine Hausnummer 3. Als wir denselben Typen, der gerade im Garten werkelt, zum zweiten Mal fragen, erbarmt er sich unser und telefoniert kurz. Es stellt sich heraus, dass es in Irkutsk noch eine weitere Straße mit demselben Namen gibt – etwas mehr als 10 km entfernt. Da diese aber nicht in meinem GPS ist und wir keinen Wegpunkt haben, setzt er sich kurzerhand in sein Auto und fährt vorneweg, um uns den Weg zu zeigen. Er sei auch Biker, und unter Kollegen hilft man ja schließlich gerne – super!

Bei Masha, unserer Couchsurferin angekommen, breiten wir unser Hab und Gut in ihrer Küche aus. Am nächsten Tag wollten wir eigentlich das Visum für die Mongolei beantragen, aber da wir zu spät dran sind, wollen sie den Antrag nicht mehr entgegennehmen. Montag zwischen 10 und 13 Uhr bitte! Na toll, jetzt müssen wir das gesamte Wochenende in Irkutsk rumgammeln…

Wirklich faul wird das Wochenende aber nicht, denn an der Enfield gibt es wieder einiges zu reparieren. Die Scheißnaht der hinteren Auspuffhalterung ist gebrochen, dadurch hat der Auspuff noch mehr als sonst vibriert und auch die Mutter der vorderen Halterung runtergewackelt. Eigentlich kein Problem – neue Mutter drauf drehen und fertig. Blöd nur, dass es ein englisches Modell ist, an dem alles Inch und nix metrisch ist. Und finde mal einer eine Mutter mit Inch-Gewinde in Irkutsk! Wir klappern zwei Tage lang Baumärkte, Läden für Autozubehör und alle möglichen anderen Geschäfte ab, aber vergeblich. 

Abends verkünsteln wir uns in Mashas Küche, beide froh, dass wir endlich mal wieder einen ordentlichen Herd haben und kochen können. Freitags gibt es Chili con Carne, Sonntags kochen wir endlich mal wieder Kässpatzen, bei denen wir aber nicht sicher sind, wie gut sie bei Masha und ihrem Freund ankommen. Egal, uns hats geschmeckt ;)

Das Auftauchen des Freunds ist an sich noch eine recht witzige Story: Sonntagmorgens um 3 sitzen wir immer noch vor unseren Laptops in der Küche (wenn man mal Internet hat, muss man das schließlich nutzen), da klopft es plötzlich am Fenster. Was, Betrunkene vor dem Haus? Wir können draußen nichts erkennen und ignorieren das Klopfen. Masha im Nebenzimmer hat aber offensichtlich Besuch erwartet, denn wir hören die Tür und die beiden verschwinden in ihrem Zimmer. Fünf Minuten später kommt der Typ zu uns in die Küche – allerdings bereits ohne Hose. „Hey guys, are you from Germany? Do you have a Micro-USB cable?“ Ich gebe ihm das Gewünschte und er verschwindet wieder in Mashas Zimmer, das die beiden bis Sonntagnachmittag nicht verlassen.

Wir machen uns weiter auf die erfolglose Suche nach einem Schweißer und einer Inch-Mutter.
Erst über unsere Freunde in Krasnojarsk kommen wir an einen Biker aus Irkutsk, mit dem wir uns montags nach Erledigung der Visaformalitäten treffen.
Er fährt mit uns zu einer Werkstatt, in der kurzerhand die Stange mit dem Inch-Gewinde durch eine metrische ersetzt und die Auspuffhalterung wieder angeschweißt wird. Der Mechaniker biegt auch gleich noch die Fußraste gerade (Daniel hatte am Tag davor aufgrund einer ziemlich mies verlegten Straßenbahnschiene Kontakt zum irkutsker Asphalt – zum Glück nur in Schrittgeschwindigkeit), und die Enfield ist wieder fast wie neu. 

Aussicht auf ein kleines Eck des Baikalsees

Obwohl es schon wieder recht spät am Abend ist, machen wir uns noch auf dem Weg Richtung Olchon, eine Insel mitten im Baikalsee. Wir campieren auf ca. halber Strecke und fahren am nächsten Tag die restlichen Kilometer über größtenteils akzeptable Schotterpiste zur (kostenlosen) Fähre auf die Insel. Während der Überfahrt treffen wir ein paar Russen, die mit zwei vollbeladenen Autos übersetzen, um sich in einer Bucht ein paar schöne Tage beim Fischen und Wodka trinken zu machen. Spontan laden sie uns ein – da haben wir nichts dagegen!

Auf der Insel gibt es nur eine Schotterpiste, auf der wir recht langsam vorankommen. Die Autos ziehen alle an uns vorbei, und ich denke schon, dass die Einladung somit revidiert ist, da sehe ich, wie ein Auto an der Abzweigung zu einem Sandweg auf uns wartet. Wir heizen noch ein paar Kilometer über Sand und Steppe, dann stehen wir an einem recht steilen Grashang, der hinab zu einer Bucht führt. Vorsichtig, um nicht auf einer sandigen Stelle abzurutschen und die Maschine im Baikalsee zu versenken, fahren wir den Hang runter und suchen ein halbwegs gerades Plätzchen für Maschinen und Zelt. 

"Unsere" Bucht am Baikalsee

 Die Russen packen Gruppenzelt, Grill, tonnenweise Lebensmittel, Fischernetze und noch einiges mehr aus, da nähert sich plötzlich ein olivgrüner Jeep. Irgendwelche halboffiziell aussehenden Leute steigen aus und unterhalten sich mit unseren Leuten. Ausweise werden hervorgekramt und Dokumente ausgefüllt. Daniel und ich vermuten schon, dass die Jungs Ärger kriegen, weil sie ohne Angelerlaubnis unterwegs sind, doch es geht offensichtlich nur um die Kosten fürs Campen im Nationalpark. Sie erzählen uns später, dass der Betrag eigentlich viel höher sei, sie aber mit einer Zahlung von 500 Rubel (in die Tasche der Kontrolleure natürlich) davon gekommen seien.

Kaum ist alles aufgebaut, paddeln zwei der Jungs mit einem Schlauchboot auf den See um die Netze zu setzen. Sie erzählen uns, dass sie letztes Jahr sicher 50 Kilogramm Fisch gefangen hätten, deshalb freue ich mich schon auf den bevorstehenden Fang.
Nachdem die erste Ladung Schaschlik vertilgt und die erste Flasche Wodka angebrochen ist, paddle ich zusammen mit Alexeij (er ist offensichtlich fürs Fischen zuständig) raus, um die Netze zu überprüfen. Für mich eine großartige Möglichkeit noch was zu lernen, denn bisher habe ich noch nie auf diese Art gefischt – wer weiß, wann man das mal brauchen kann. Leider haben wir keinen Erfolg, nur in einem Netz hat sich ein kleiner Omul (ein im Baikalsee endemischer Fisch, den es sonst nirgendwo anders gibt) verfangen. Er wird gleich roh mit Dill, Salz und Öl zubereitet.

Bereit zur Ausfahrt

Ohne Fisch verbringen wir den Abend notgedrungen damit, Schaschlik und Stockbrot zu grillen sowie Unmengen Wodka zu trinken. Immer wenn wir denken, der Vorrat der Truppe wäre endlich erschöpft, ziehen sie aus irgendeiner Ecke noch eine Flasche hervor. Ablehnen ist nicht, und als wir Bedenken bezüglich unseres morgigen Zustandes äußern, erklären sie uns, dass man von diesem Wodka garantiert keinen Kater bekommt – und tatsächlich, die Marke heißt übersetzt so viel wie „Kein-Kater-Wodka“. Stimmt auch weitestgehend, denn obwohl wir zu siebt über den Abend hinweg sieben Flaschen vernichtet haben, geht es uns allen am nächsten Morgen halbwegs akzeptabel, von einer Ausnahme mal abgesehen.

Die Ausnahme, Pascha, hatte sich im Laufe des Abends großzügig am Biervorrat der Truppe vergriffen und vergnügte sich den Großteil der Nacht damit, in seinem Auto über den steilen Wiesenhang zu heizen. Wir hatten schon immer Sorge, dass er entweder unsere Motorräder umfährt oder aber sich und sein Auto im Baikalsee versenkt, doch bis auf ein paar Kratzer im Bodenblech dürfte er recht gut davongekommen sein.
Am nächsten Morgen wollen ein paar der Jungs in den Ort fahren um Nachschub zu kaufen, und ich begleite sie, damit ich wenigstens einen Teil unserer „Schulden“ abzahlen kann. Eigentlich hatte ich erwartet, dass einer der Nüchternen fährt, doch am Steuer sitzt bereits Pascha mit einer frischen Dose Bier. Obwohl garantiert noch nicht ausgenüchtert, fährt er halbwegs sicher bis zur Schotterstraße – wo er dann den Fahrersitz doch einem etwas Fahrtauglicherem überlässt. Die Polizei ist ja schließlich auch auf der Insel tätig...

Eigentlich wollten wir im Ort Fisch kaufen, aber anscheinend ist die Population soweit zurückgegangen, dass kaum einer der Fischer noch etwas fängt. Nach einigem Suchen finden wir trotzdem noch einen Laden, der getrockneten und geräucherten Omul hat. Wir decken uns mit Fisch, Bier und Wodka ein und fahren zurück zum Strand, wo der Fisch sofort verkostet wird. Ich glaube, ich habe noch nie so guten getrockneten Fisch gegessen!
Am Nachmittag fahre ich nochmals mit Alexeij raus, um ein weiteres engmaschigeres Netz zu legen. Als wir wieder zurückkommen, haben die Jungs bereits die Banja aufgebaut: Ein rechteckiges Zelt, drinnen ein kleiner Holzofen, dessen Schornstein nach draußen ragt. Wir heizen ordentlich ein und sitzen wenig später mit kühlem Bier und Trockenfisch in der heißen Banja. Zum Abkühlen direkt in den fünf Grad kalten Baikalsee springen – gibt’s denn was Besseres? 

Banjazelt



Die Banja wird vorgeheizt

Am nächsten Tag brechen wir gegen Mittag auf und fahren zurück Richtung Irkutsk. Auf der Fähre treffen wir Nico, einen Deutschen aus Freiburg. Er ist schon seit zwei Monaten mit dem Rucksack in Russland unterwegs und will wie wir demnächst in die Mongolei. Als er eher spasseshalber fragt, ob wir ihn nicht nach Ulan-Bator mitnehmen können, stimmen wir nach kurzer Überlegung zu. Schließlich sind wir bis Moskau zu dritt auf zwei Motorrädern unterwegs gewesen, dann geht das auf den letzten paar Metern nach UB auch noch und ist vielleicht ganz witzig. Leider wird sein Visum erst gegen Montag fertig, deshalb verbringen wir nun noch ein weiteres Wochenende in Irkutsk.

Sonntag, 24. Juni 2012

Bikerfestival und Sperrzone

Nach Novosibirsk bin ich erst mal froh, wieder in Ruhe im Wald campen zu können, ohne von anderen Leuten und deren Zeitplan abhängig zu sein. Wir waren trotz des Tipps von Anton, der uns eine Alternative zur Magistralen empfohlen hatte, welche auf einer Schotterpiste endete, recht gut vorangekommen.
Da wir die Einkäufe für die Kässpatzen nicht vollständig verwerten konnten, gibt es heute Abend mal Stockbrot mit Zwiebeln, zubereitet über offenem Birkenfeuer - super! 




Am nächsten Tag starten wir leider bereits mit Regen. Nach ein paar Stunden erreichen wir das Nest Achinsk, wo wir nach einem Cafè mit WiFi fragen, um über Skype den Bekannten in Krasnojarsk anzurufen. Als wir so auf einem Parkplatz stehen, kommt jemand auf uns zu. Ob wir das Bikefestival suchen würden? Nein, eigentlich nicht... hört sich aber interessant an. 
Wir überlegen noch, wie groß ein Bikefestival in diesem kleinen Nest wohl sein kann, da biegt plötzlich ein riesen Trupp Motorräder mit wehenden Fahnen um die Ecke! Es ist ein Treffen aller Bikerclubs im Umkreis von mehren hundert Kilometern, die auf einem Gelände nebenan das ganze Wochenende Party feiern. Da sind wir natürlich sofort dabei!


Als weitgereiste Ehrengäste werden wir mit großem Hallo aufgenommen. Wir werden vom Präsidenten des Bikerclubs Krasnojarsk eskortiert, zahlen selbstverständlich weder für Eintritt, Willkommensbier noch Hühnersuppe. 
An jeder Ecke werden wir eingeladen, und ich habe kaum eine Möglichkeit zu verhindern, ständig mit diversen Getränken "beglückt" zu werden. An dieser Stelle möchte ich gleich mal eine Warnung loswerden: Trinkt nicht mit Weißrussen und Armeniern, vor allem nicht, wenn sie aus der schönen russischen Stadt Urzhum kommen. Tut es einfach nicht.


Erheblich belustigt ist die ganze Nacht einiges los: Eine recht gute Band auf der Bühne, viele lustige bis bedenkliche Motorräder, von denen die wenigsten ein Nummernschild besitzen (siehe unten) und zu späterer Stunde auch noch vor allem auf männliche Motorradfahrer ausgelegte Unterhaltungsshows ;)


Bikerparty

"Don't touch my Yamaha!"


Nach einer mehr oder weniger kurzen Nacht tuckert die ganze Tuppe am nächsten Mittag vor der Heimfahrt zum Baden an einen nahegelegenen Fluss. Leider ist die Stömung zu stark um richtig zu schwimmen, doch auch im flachen Wasser kann man gut abkühlen und vor allem mal wieder sauber werden. 

Danach fahren alle zusammen Richtung Krasnojarsk, und uns wird von mehreren Seiten versprochen, dass wir eine Übernachtungsmöglichkeit finden. Die Kommunikation ist jedoch meist etwas eingeschränkt, weil längst nicht jeder der Truppe Englisch spricht und mein Russisch immer noch nicht wirklich gut ist.



Enfield, Suzuki und russische Konsorten

Wir landen schließlich bei den Bikern von Schelesnogorsk, einem Ort etwas nördlich von Krasnojarsk. Ich wundere mich noch, wieso alle Schilder nach Schelesnogorsk nach rechts zeigen, wir aber links auf eine Schotterpiste abbiegen - da halten die Jungs plötzlich an und deuten auf einen kleinen Trampelpfad im Wald. Ein anderer Biker kommt dort zu Fuß raus und bedeutet uns, ihm mit den Bikes zu folgen, während die anderen umdrehen und zurück fahren. 


Wir kämpfen uns also mit unseren vollbepackten Maschinen über den Weg, der echt ein Abenteuer für sich ist: Es geht über notdürftig abgedeckten Nato-Stacheldraht (wieso zum Henker liegt sowas mitten im Wald rum?) und durch ziemlich tiefe Löcher. 
Endlich kommen wir an der anderen Seite auf einem besseren Weg raus, und wer steht da? Die beiden, die vorhin umgedreht sind! Wieso mussten wir durch den Waldweg und die durften außen rum fahren? Das versteh einer...


Wir werden von Roman mit seiner (leider etwas lädierten) Honda Goldwing abgeholt und zunächst zur Clubgarage eskortiert, wo unsere Motorräder sicher stehen. Wir schlafen bei ihm und seiner Frau Anja in der Wohnung. 
Der Ort selbst hat noch sehr viel Sovjetcharme. Am nächsten Tag essen wir in einer öffentlichen Kantine, untergebracht in einem pompösen Gebäude - auch noch ein Relikt aus vergangenen Zeiten, in der das Volk effizient verköstigt wurde.


Hier erfahren wir eher beiläufig, was es mit der Stadt auf sich hat. Aus Erzählungen wissen wir bereits, dass Roman in einer Firma für Sattelitentechnik arbeitet. Wir erfahren nun, dass Schelesnogorsk bis 1994 "Krasnojarsk 26" hieß und zu Sovjetzeiten auf keinerlei offiziellen Karten zu finden war - hier wurde (noch bis 2010) waffenfähiges Plutonium angereichert und geheime Sattelitentechnik produziert. Die Stadt ist immer noch polizeiilich abgeriegelt, eigentlich kommt man nur mit einer speziellen Gehnehmigung hinein! Hübsche Sache, und wir fahren einfach so mit unseren deutschen Kennzeichen durch die City! Wenigstens wissen wir jetzt, wieso wir gestern diesen miesen Waldweg fahren mussten - und wieso da Nato-Stacheldraht lag...


Wir haben schon Sorge, diesen miesen Weg auch wieder auf der Rückfahrt fahren zu müssen, doch unsere Gastgeber beruhigen uns: Beim Verlassen der Stadt würde man am Checkpoint nicht kontrolliert, das sei alles ganz easy. Gut, dann bin ich ja beruhigt. Mehr oder weniger zumindest.


Da es wieder übertrieben heiß ist, machen wir nachmittags einen Ausflug zum Stausee in der Stadt. Theoretisch ein netter Ort, wenn das Wasser nicht so dreckig wäre - und man nicht wüsste, dass es zum Kühlen von Atomreaktoren verwendet wird.


Abends grillt der örtliche Bikerclub bei der Garage Schaschlik - natürlich sind wir wieder herzlich eingeladen. Trotz (und teilweise gerade wegen) einiger Sprachprobleme ist es ein lustiger Abend, und einmal mehr wird mir bewusst, wie großartig gastfreundlich die Menschen in diesem Land sind. Ich bekomme zum Abschied spontan einige persönliche Kleinigkeiten wie Schlüsselanhänger geschenkt, sodass ich ein richtig schlechtes Gewissen habe, dass ich gar nichts weggeben kann... 
(Notiz an mich selbst: Russen stehen auf Kühlschrankmagnete - unbedingt für die nächste Reise ein paar aus Deutschland mitnehmen!)


Am kommenden Tag wollen wir uns eigentlich wieder verabschieden, doch unsere Gastgeber bestehen darauf, uns noch Krasnojarsk zu zeigen. Im Konvoi fahren Roman und Anja mit der Goldwing, ein weiteres Mädchen aus dem Club und wir Ausländer aus der Stadt. Wie angekündigt werden wir am Checkpoint tatsächlich nicht aufgehalten - Glück gehabt. 
Die Fahrt durchs krasnojarsker Verkehrschaos ist ziemlich nervig, vor allem weil Roman vorneweg immer über dunkelgelbe Ampeln rauscht und die weitere Mitfahrerin offensichtlich Fahranfängerin ist...


Unsere Gastgeber am Aussichtspunkt über Krasnojarsk

Dennoch ist der Abschied ganz nett, und an einem Aussichtspunkt über der Stadt sollen wir uns unbedingt noch eine Andenkenmünze prägen. Eigentlich hatten wir geplant, noch etwas Strecke zu machen, weil es bis Irkutsk noch etwas über tausend Kilometer sind, doch es ist bereits 20 Uhr, als wir Roman und Anja an der Abfahrt zur Magistralen verlassen. Deshalb schlagen wir bereits nach wenigen Kilometern das Zelt auf und beschließen, die nächsten beiden Tage dafür früher aufzustehen und mehr zu fahren - schließlich wollen wir am Donnerstag in Irkutsk sein!

Samstag, 23. Juni 2012

Von Ekaterinburg bis Novosibirsk

Der nächste Stop nach Perm ist Ekaterinburg - wir haben Europa verlassen und tuckern nun durch Asien. Auch hier kommen wir wieder für eine Nacht bei Couchsurferinnen unter, mit denen wir zusammen das EM-Spiel Russland gegen Tschechien anschauen. Die Mädels sind richtig fußballbegeistert, sodass sogar ich mich anstecken lasse. Nach dem 4:1 Sieg für Russland bricht nachts auf der Straße das Chaos aus - die Russen sind wirklich ein feierwütiges Völkchen!

Wir schlafen uns aus, fahren dann aber zügig weiter nach Tyumen, wo uns die nächste Couchsurferin, Olga, erwartet. Es ist - wie die letzten Tage auch - übertrieben heiß, meistens über 33 °C. So hab ich mir Sibirien nicht vorgestellt! Bei der Suche nach der richtigen Adresse werden wir von der russischen (wohl von übertriebener Paranoia veranlassten) Baukunst überlistet - die Einfahrt zum gesuchten Haus befindet sich nicht in der Straße, nach der die Adresse lautet, sondern versteckt hinter vielen Nebenstraßen und umgeben von Mauern.

Endlich angekomen, werden wir zum Glück fürstlich von unserer Couchsurferin bekocht. Eigentlich wollten wir am nächsten Tag gleich weiter Richtung Omsk, doch es ist so heiß, dass wir beschließen, einen Pausentag einzulegen und zusammen mit unserer Gastgeberin an einen Badesee zu fahren. Ihre Freunde tauchen auch auf und grillen Schaschlick - ein gemütlicher Nachmittag!

Abends will uns Olga noch die Stadt zeigen und wir marschieren ein paar Stunden durchs nächtliche Tyumen. Hier gibt es eine ganz bekannte Brücke, an der frisch Verheiratete ein Vorhängeschloss anbringen und die Schlüssel in den Fluss werfen, als Symbol für eine dauerhafte Beziehung. Blöd nur, dass das viele Leute vorhaben und deshalb die Schlösser nach ein paar Monaten wieder entfernt werden ;)

Am nächsten Tag kommt jemand nicht recht aus den Federn, weshalb wir erst gegen 15 Uhr starten können.
Bei der Ausfahrt aus Tyumen überholt uns ein Auto, der Beifahrer lehnt sich aus dem Fenster, formt die Finger zur Pistole und "feuert" in unsere Richtung. Da hat wohl jemand schlechte Erfahrungen mit den Deutschen gemacht... Teilweise verständlich, aber dennoch traurig.
Kurz vor Feierabend treffen wir noch zwei Biker aus Polen und der Ukraine, die mit ihren BMWs in einem Monat durch Russland über die Mongolei nach Wladivostok wollen. Sie würden ca. 1000 km am Tag machen, sagten sie... na wenn das auf russischen Straßen noch Spaß macht?

Mit der BMW würde ich auch gerne durch Russland fahren...
Am Abend campen wir wieder und probieren das in Perm erworbene Mückenspray aus. Tatsächlich - es wirkt, und das sogar besser als das DEET-Spray, das ich noch von Kambodscha dabei habe. Wenn man nicht ständig selbst das Abendessen ist, schmecken die Nudeln doch gleich viel besser.

Anderntags machen wir recht viel Strecke und halten nur kurz mittags abei einem Cafè mit WiFi, um nachzusehen ob uns für Novosibirsk schon ein Couchsurfer eingeladen hat. Wider Erwarten Fehlanzeige... die rosigen Tage sind wohl vorbei, wo sich die Leute aus Perm und Ekaterinburg um uns gerissen haben.

Die Enfield und das Unwetter
Auch heute überholen uns wieder seltsame Gestalten: Einmal zeigt mir einer den Hitlergruß aus dem Beifahrerfenster, ein andermal werde ich beim Überholen derart in den Gegenverkehr gedrängt, dass ich scharf abbremsen und mich wieder weit hinten einreihen muss, um nicht vom entgegenkommenden LKW platt gemacht zu werden.
Abends campen wir wieder - nahezu mückenfrei!

Eigentlich hatten wir in Novosibirsk vor, ein Internetcafè zu finden um zu sehen, ob sich nicht doch ein Couchsurfer unserer erbarmt - doch es kommt anders. Kurz vor der Stadt treffen wir Igor, einen Biker aus der Gegend. Er telefoniert sofort mit einem Bekannten aus Novosibirsk, bei dem wir übernachten können.
Wir werden bei einem Cafè aufgesammelt und fahren Anton, userem Gastgeber, hinterher nach Novosibirsk. Er fährt einen Supersportler und man merkt, dass es ihm schwer fällt, sich an unser langsames Tempo anzupassen.
Es stellt sich heraus, dass er einen Laden für Motorradzubehör besitzt, in dem wir gleich das Stöbern anfangen. Ich habe schon Hoffnung, hier günstig an neue Reifen zu kommen, doch Fehlanzeige. Er hat nichts Passedes vorrätig, bestellen sei kompliziert, langwierig und überhaupt verdammt teuer. Für den Metzeler Tourance EXP würde ich ca. doppelt so viel wie in Deutschland zahlen... na dann versuche ich halt, auf meinen alten Schlappen noch bis nach Hause zu kommen.

Anton gibt sich immer als guter Gastgeber, läd uns zum Essen ein und organsiert nachts um 12 noch die Fahrt zu einer privaten Banja in der Umgebung - weil bei ihm das heiße Wasser nicht funktioniert. Obwohl es mir schon fast etwas zu spät am Tag ist, freue ich mich natürlich, endlich mal eine original russische Banja zu erleben. Komplett ausgestattet mit Saunahut liegt man auf der heißen Holzbank und wird mit einem Eichenzweig, der davor in kochemdem Wasser lag, verprügelt. Interessante Erfahrung, aber ich weiß nicht, ob ich das jeden Tag brauche...

Bottich zum Abkühlen nach der Banja
Am nächsten Tag werden wir zu einer Werkstatt begleitet, in der man den Startproblemen der Enfield nun endgültig auf den Grund gehen will. Es gibt wieder ein riesengroßes Hallo von wegen Dieselmotor in indischer Enfield, aber ungewaschen will keiner der Jungs am Moped schauben. Wir fahren also erst mal um die Ecke zur Autowäscherei und pusten den Dreck aus Mamadysh vom Lack.

Zurück in der Werkstatt folgt der Mechaniker dem Kabelverlauf, nimmt den Scheinwerfer ab - und hat binnen fünf Minuten den Defekt gefunden: Seltsamerweise war ein Massekontakt nicht isoliert und hat eine Steckverbindung gebrutzelt. Dreck abgekratzt und alles isoliert, schon startet die Enfield wieder wie eine Eins. Damn, da hätten wir theoretisch auch mal nachschauen können! Hinterher ist man bekanntlich immer klüger...

Da wir eigentlich für Anton noch zum Dank Kässpatzen machen wollen, begeben wir uns auf die Suche nach einem geeigneten Ding, das als Spätzlesieb herhalten könnte. Wir haben erst die Idee, eine Metallplatte zu kaufen und da Löcher hineinzubohren, finden aber im "Baumarkt" nichts Passendes. Eher spasshalber schauen wir nochmal in die Küchenabteilung - und was hängt da? Ein "Gnocchi Grater", zu gut deutsch "Spätzlehobel"!

Leider kommen wir nicht dazu, den Neukauf einzusetzen, weil Anton Ewigkeiten im Laden bleibt und danach unsere Einladung "vergessen" hat. Stattdessen treffen wir uns noch mit den anderen Bikern zu einer Ausfahrt duchrs abendliche Novosibirsk - mitsamt Videodreh. Ich drücke meine Kamera einem Typen in die Hand, der aus dem Beifahrerfenster des Autos heraus filmt, wie die ganze Truppe die Hauptstraße der Stadt entlang zum Bikertreff an der Brücke fährt. Super Spektakel!

Mit den Bikern von Novosibirsk

Donnerstag, 21. Juni 2012

Perm und Gulag-Museum "Perm 36"


Wir starten gerade noch rechtzeitig, um vor dem Einsetzen des Regens die Matschpiste und den Ort hinter uns zu lassen. Trotzdem schüttet es den ganzen Tag wie aus Eimern, deshalb beschließen wir, einmal nicht zu campen sondern uns in Izhevsk ein Zimmer zu nehmen.
Für 30 € bekommen wir ein recht großes Zimmer, in dem wir unsere dreckige Ausrüstung etwas putzen und mit Wasserkocher und Mikrowelle sogar ein Abendessen fabrizieren können.

Tags darauf geht es bei gutem Wetter weiter nach Perm, wo wir uns schon Couchsurfer organisiert haben. Direkt nach dem Start geht aber natürlich wieder etwas schief: Ich fahre vorneweg, als ich direkt nach der Ortsausfahrt bemerke, dass Daniel hinter einer Absperrung stehen geblieben ist. Durch den Zaun kann ich nicht genau erkennen, was los ist, deshalb wende ich, um zu ihm zurück zu fahren. Da die Straße eine Mittelleitplanke hat, muss ich ein Stück außen rum fahren, und als ich an die Stelle komme, sind Daniel und Enfield auf einmal verschwunden.
Über den Funk meldet er sich nicht und auch ans Handy geht niemand, deshalb fahre ich nochmal zurück bis zur Herberge. Als ich ihn partout nirgendwo finden kann, fahre ich wohl oder übel auf die Magistrale nach Perm, in der Hoffnung, ihn irgendwo auf dem Weg einzuholen. 

Als ich ihn nach einigen Stunden immer noch nirgendwo sehe, versuche ich es nochmal auf dem Handy. Endlich erreiche ich ihn – er hat irgendwo die Ausschilderung auf die Magistrale übersehen und ist auf einer Schotterpiste gelandet. Wir beschließen, uns in Perm zu treffen. Bis dahin genieße ich es, einmal meine eigene Geschwindigkeit zu fahren. Vor den Polizeikontrollen wird man recht zuverlässig vom Gegenverkehr mit Lichthupe gewarnt, außerdem sind die Polizeiautos am Straßenrand meist gut zu erkennen, sodass man rechtzeitig abbremsen kann.

In Perm angekommen, versuche ich wieder, Daniel zu erreichen. Ich schicke ihm eine SMS, die wie sich später herausstellt erst einen Tag später ankommt… Nach einiger Zeit höre ich zwar  im Funk, kann aber kaum ein Wort verstehen. Ich drehe ein paar Runden in der Hoffnung, irgendwo besseren Empfang zu haben, doch keine Chance. Schließlich gebe ich auf und fahre zu den Couchsurfern. Dort angekommen, kommt eine Nachricht von ihm, dass er auch auf dem Weg dahin sei. Na zum Glück hat das letzten Endes doch geklappt! Wir stellen fest, dass wir aufgrund eines Zeitzonenwechsels zwei Stunden zu spät dran sind… ist doch immer wieder verwirrend in diesem Land!

Unsere Gastgeber, eine WG mit zwei Mädels, erweisen sich als angenehm unkompliziert. Wir verbringen den nächsten Tag mit ausschlafen, gammeln und surfen. Erst tags darauf haben wir wieder genug Schwung, uns nochmal der Enfield-Kupplung zu widmen. Wie sich herausstellt, haben wir die Kupplung doch falsch zusammengesetzt, weil die neuen Scheiben tatsächlich anders eingebaut werden müssen als die alten. Oder waren die alten Scheiben etwa von Anfang an falsch montiert? Das würde eventuell erklären, weshalb die Kupplung so schnell verschlissen war… Also neues Kupplungsöl gekauft und die ganze Sauerei kann wieder von vorn losgehen – diesmal hoffentlich zum letzten Mal!

Abends wollen wir uns bei unseren Gastgebern etwas revanchieren, indem wir Kässpatzen machen. Das einzige Problem: Wie macht man Spatzen ohne Spätzlereibe bzw. Spätzlesieb? In einem Supermarkt finden wir schließlich eine Frisbee, in die wir mit einem heißen Schraubenzieher Löcher schmelzen. Die Idee ist gut, nur leider sind die Löcher zu klein und die Frisbee zu instabil… letzten Endes müssen die Spätzle „von Hand“ vom Brett geschabt werden. Das Ergebnis ist zwar nicht ganz so gut wie mit dem richtigen Werkzeug, aber eindeutig gut essbar.
Schöner Flussabschnitt auf dem Weg zu Perm 36

An unserem letzten Tag in Perm besichtigen wir noch das Gulag-Museum „Perm 36“. Das Museum ist etwas mehr als 100 km von Perm entfernt auf dem Gelände eines ehemaligen Gulags. Es ist das einzige erhaltene Gulag im gesamten Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, doch der Staat hat keinerlei Interesse daran, diese Vergangenheit irgendwie aufzuarbeiten. Das Museum wird von einer privaten Organisation betrieben, der ganz offensichtlich das Geld fehlt. Auf dem Gelände gibt es kaum etwas zu sehen, und die wenigen Schautafeln sind ausschließlich auf Russisch.

Fünf Reihen Zäune umgeben das Gulag
Am Abend gehen wir noch mit unseren Gastgebern in eine Karaoke-Bar. Es gibt tatsächlich zwei deutsche Lieder zur Auswahl – beide von Rammstein. Schön zu sehen, dass die deutsche Musikkultur im Ausland würdig vertreten ist! Wir versuchen uns an allen möglichen englischen Liedern, während unsere Couchsurferinnen erstaunlich talentiert russische Songs zum Besten geben. Der  Kellner wünscht sich noch, dass wir „Wind of Change“ singen – offensichtlich ein sehr beliebtes Lied hierzulande.

Sonntag, 3. Juni 2012

Moskitos, Glück und Pannen

Unser Couchsurfer in Moskau hatte uns die Nacht wieder allein gelassen, um Taxi zu fahren und dann zu seiner Freundin zu gehen. Wir hatten ausgemacht, ihm den Schlüssel dann morgens vor unserer Abfahrt vorbeizubringen.
Nach einigem Suchen und 50 km Strecke durch die Stadt finden wir endlich die Wohnung, werden den Schlüssel los und fahren weiter Richtung Nizny Novgorod. Leider ist auf der M7 stadtauswärts dermaßen viel Verkehr, dass wir nicht wirklich gut vorankommen.
Abends beschließen wir, abseits von der Straße an einem Fluss zu zelten. Schon als wir den Platz anfahren, stellen wir fest, dass die Strecke wohl das Sudelfeld und Motocross-Gebiet der örtlichen Jugend ist, die hier mit alten Ladas und Mopeds ihre Runden im Gelände drehen. Zu fortschreitender Stunde wird es jedoch zum Glück ruhiger, und wir kochen unser Abendessen.
Als wir unsere Motorräder noch etwas anders abstellen wollen, springt Daniels Enfield auf einmal wieder nicht mehr an. Mist, das Problem schien doch behoben! Mehr als Übersprungshandlung wackelt er nochmal an den Batteriekontakten, und schwupp, läuft das Ding wieder… Teufelszeug, die Kontakte hatte er doch schon in Moskau abgebaut und gereinigt?
Mittlerweile tut sich jedoch ein ganz anderes Problem auf: Die ganze Gegend ist regelrecht moskitoverseucht! Ich bin ja so einiges von Schottland, Norwegen und Südostasien gewohnt, aber diese Viecher stellen mit Größe und Anzahl alles fast sprichwörtlich in den Schatten. Wir flüchten uns so schnell wie möglich ins Zelt, wo die Biester zum Glück nicht hinkommen. Sie machen jedoch noch einen Heidenlärm unter dem Überzelt, sodass es permanent klingt, als würde es regnen.

Russland - endlose Weiten
Am nächsten Tag erreichen wir Nizny Novgorod, wo wir in einem Supermarkt Wasser und Lebensmittel nachfüllen. Während Daniel einkauft, passe ich draußen auf die vollbepackten Mopeds auf. Plötzlich tauchen ein paar Typen auf, die versuchen, jedem Passanten  ein neues Nokia-Handy unter der Hand zu verscherbeln. Auch mich haben sie recht bald entdeckt, und trotz erheblicher Sprachbarrieren versuchen sie mir, ein „garantiert echtes, neues N8“ anzudrehen. Um mich zu überzeugen, zeigt er mir sogar die Originalverpackung und hält mir seinen Pass unter die Nase.
Recht schnell bemerken die Jungs, dass ich auch für den Supersonderpreis von 100 Dollari nicht gewillt bin, ein neues Handy zu kaufen. Sie beginnen, sich äußerst genau für die Motorräder und das Gepäck zu interessieren. Nicht sicher, ob sie nur Interesse an den Fahrzeugen oder vielmehr an meinem GPS am Lenker haben, bleibe ich besser wachsam. Der eine will noch ein Foto von sich auf meiner Maschine machen, danach zieht die Truppe wieder ab.
Nach Nizny Novgorod und verlassen wir die M7 auf eine kleinere Fernstraße. Der Unterschied ist deutlich spürbar: Die Straße ist ein bisschen schlechter, es herrscht weniger Verkehr, dafür gibt es abwechslungsreichere Landschaft und mehr Kurven! :D
Allzu viel passiert den Tag nicht mehr, außer dass ich bei jedem Tankstopp die Enfield quer über den Platz schieben muss, damit sie wieder anspringt.
Abends zelten wir wieder abseits von der Straße, und auch hier haben wir dasselbe Problem mit den Mücken. Diesmal versuchen 
wir zwar, die Viecher mit dem Rauch eines Lagerfeuers zu vertreiben, was aber nur bedingt funktioniert.


Donnerstags verlassen wir auch die Fernstraße und fahren über einige Käffer nach Osten Richtung Perm. Laut Karte sollten wir nach einiger Zeit wieder auf eine Fernstraße, diesmal die P242, kommen.
Tatsächlich zeigen an der richtigen Stelle Schilder nach Perm, und wir biegen von der guten Teerstraße ab auf die Mutter aller Schotterpisten. Die sieht nun wirklich nicht aus wie die in der Karte versprochene Fernstraße, und nach ein paar Kilometern endet sie an einer Schranke vor einem Fluss.
Laut Einheimischen gab es hier mal eine Fähre, die existiert allerdings nicht mehr. Brücke gibt es auch keine, also bleibt uns nichts anderes übrig, als umzudrehen und einen erheblichen Umweg nach Süden zur M7 einzuschlagen.
Da es nun schon recht spät geworden ist, fahren wir kurz vor Erreichen der Autobahn in einen Feldweg ab und suchen uns einen Schlafplatz. Obwohl diesmal kein Gewässer weit und breit zu sehen ist, werden wir auch hier wieder von Mücken terrorisiert… es ist echt kaum auszuhalten. Wieso zum Henker legen die Leute nicht mal ihre Sümpfe trocken?

Am nächsten Morgen wollen wir eigentlich früh los, um noch Perm zu erreichen und mit etwas Glück wieder einen Couchsurfer zu finden. Der einsetzende Regen hat jedoch den Feldweg in eine Schlammpiste verwandelt und zu allem Überfluss springt die Enfield wieder nicht an. Wir schieben sie genervt durch den Schlamm, bis sie sich endlich bequemt.
Wir rutschen und schlittern mit den Motorrädern durch den Dreck in Richtung befestigte Straße, als Daniel plötzlich vor mir stehen bleibt. Seine Enfield bequemt sich nicht mehr von der Stelle, trotz eingelegtem Gang dreht sich kein Rad. Er hat es tatsächlich geschafft, seine Kupplung auf hundert Metern schlammigem Feldweg zu zerstören… wow!

Mit Müh und Not schieben wir das Ding die restlichen Meter durch den Dreck auf festeren Boden. Etwas ratlos überlegen wir noch, ob wir hier im Dreck und Regen versuchen sollen, die Kupplung auszutauschen, da kommt plötzlich jemand zu Fuß vorbei. Etwas weiter unten im Tal liegt offensichtlich ein Dorf, und bevor der Typ im herbeigerufenen Taxi verschwindet, telefoniert er uns von dort noch Hilfe herbei.
Nach einiger Zeit tauchen zwei Gestalten mit ein paar lose in einen alten Ölkanister geworfenen Werkzeugen auf und beginnen damit, das Moped mehr oder weniger sanft zu zerlegen. Daniel meint, man müsse auf der rechten Seite das Getriebe demontieren, bevor man an die Kupplung komme. Die Jungs scheitern jedoch (zum Glück, wie sich später zeigt) daran, die Welle zu entfernen und das Getriebe zu öffnen.
Man beschließt also, das Moped durch den Dreck runter ins Dorf zu schieben. Daniel macht sich mit den beiden vom Acker, während ich auf die Koffer und meine Maschine aufpasse. Erstens würden wir schwerlich die vollbeladene Enfield da runter schieben können, zweitens habe ich kein Bedürfnis danach, über eine abschüssige Matschpiste mit meinem Moped runter zu schlittern.
Ich mache mich also daran, meine Maschine zu reinigen. Jetzt zeigt sich erst, in was für einem Teufelszeug wir hier strecken geblieben sind: Das ist keinesfalls normaler Matsch, sondern vielmehr Lehm, der sich überall festsetzt und stabiler wird, je mehr er trocknet. Ich muss einige Teile demontieren, um den Dreck zu entfernen damit sich das vordere Ritzel wieder frei drehen kann. 

Wie eine Motorradkette nicht aussehen sollte...

Schließlich biegt ein Auto in den Weg ein und Daniel steigt zusammen mit zwei Leuten aus dem Dorf aus. Sie waren beim Dorflehrer, der etwas Deutsch kann und gedolmetscht hat. Nun wollen sie alles einladen und unten im Dorf versuchen, die Enfield wieder zum Laufen zu bekommen. Der Weg ist zum Glück abgetrocknet, also komme ich mit meiner Maschine gut den Berg runter. Im Hinterhof der beiden, die mich abgeholt haben, ist schon ein Pulk Leute versammelt, die allesamt helfen wollen (oder zumindest so tun, als ob). Zwischen Hühnern und den Teilen eines alten Jeeps stehen sicher fünf Leute ums Moped rum. Nachdem wieder sämtliche Schalthebel demontiert wurden, kommt einer auf die Idee, mal den Kasten links unten an der Enfield aufzuschrauben. Violà, hier steckt die Kupplung! Kommentare bezüglich „wie gut sollte ich mein Gefährt kennen, bevor ich mit ihm durch Russland fahre“, verkneife ich mir jetzt…
Bis spät in die Nacht versuchen alle, irgendwie die neuen Kupplungsschreiben zu montieren, doch vergeblich. Sie scheinen um einiges breiter als die alten Scheiben, und sobald sie alle montiert haben, geht der Kupplungskasten nicht mehr zu. Daniel und ich können nur fassungslos zuschauen, uns lässt man gar nicht in die Nähe der Baustelle. 

Schrauben im Hinterhof
Irgendwann nach Einbruch der Dunkelheit geben sie schließlich auf. Wir werden ins Haus bugsiert und an den reich gedeckten Küchentisch gesetzt. Hier finden wir raus, dass die beiden, die uns abgeholt haben, Brüder sind. Wir sind im Haus der Mutter, die uns bekocht und anschließend ein Bett für die Nacht herrichtet. Wir schlafen anscheinend in ihrem Zimmer, während sie und die Jungs auf Betten im Wohnzimmer unterkommen.
Das Haus wie auch das Dorf sind fast wie aus einer anderen Zeit. Es gibt keine geteerten Wege, überall rennen Hühner, Kühe und Schweine rum, und das Wasser wird im Dorfbrunnen geholt. Der Hühnerstall im Hinterhof dient als Toilette, größere Geschäfte werden über einem Loch im Boden hinter einem Verschlag verrichtet. Im Haus selbst ist alles krumm und schief, die Dielen knarren und die wenigen Türen sind so verzogen, dass sie nicht mehr ordentlich schließen.
Nach einer kurzen, aber warmen und mückenfreien Nacht machen wir uns wieder ans Schrauben. Diesmal sind zum Glück nur noch die beiden Jungs und wir anwesend, was das Ganze etwas vereinfacht. Zunächst probieren wir, eine Kupplungsscheibe wegzulassen, damit der Kasten ordentlich schließt. Da die Enfield (natürlich) mal wieder nicht anspringt, schieben wir sie mehrmals einen steilen Berg rauf um sie anrollen zu lassen. Doch vergeblich – die Kupplung hat keinen Griff und sie springt nicht mal an.
Die beiden Jungs müssen zur Arbeit nach Kazan, und wir bleiben alleine zurück. Zuvor schicken sie uns doch den wohl Einzigen im Dorf, der ein Laptop samt UMTS Stick besitzt, damit wir evtl. den Konstrukteur der Diesel-Enfield kontaktieren und um Rat bitten können. Eins der Probleme, wenn man eine Maschine hat, von der es in dieser Form deutschlandweit nur acht Stück gibt – keiner weiß irgendwas darüber, es gibt keine Schrauberbücher, Erfahrungsberichte, Anleitungen…
Die Internetverbindung funktioniert mehr schlecht als recht, und so versuchen Daniel und ich nochmal, die Kupplung zu demontieren und neu anzubauen. Diesmal zieht Daniel die Schrauben der Kupplung bombenfest an, und tatsächlich – nun geht auch der Kupplungskasten zu! Wir füllen nun zum sicher vierten Mal das neue Öl ein und wagen eine Probefahrt. Alles funktioniert perfekt! Das am vorherigen Abend war wohl ein Paradebeispiel für „Viele Köche verderben den Brei“…
Da wir gerade vor einer ganz akzeptabel ausgestatteten Werkstatt sitzen, machen wir gleich weiter. Wir wechseln endlich das Motoröl, das ich seit Moskau spazieren fahre und reinigen die Kette, was nach dem Schlammbad dringend nötig ist.
Im Vordergrund: Abendessen
Bei einer Probefahrt merke ich, dass sich mein Vorderrad kaum noch dreht. Der Schlamm ist nun unter dem eng anliegenden Spritzschutz getrocknet und blockiert das Rad fast völlig. Da alles so fest sitzt, dass ich den Spitzschutz nicht demontieren kann, muss ich schließlich das Vorderrad ausbauen, um den Dreck entfernen zu können. Sehr spassig, wenn man alleine ist (weil der zweite Mann ja das Hinterrad runterdrücken muss) und irgendwie die Tachowelle und das Rad wieder an die richtige Position bugsieren muss, damit die Achse durch passt…

 Gegen Abend sind die Maschinen wieder einsatzbereit und auch die Jungs sind mit einigen Kanistern Bier im Schlepptau von Kazan zurückgekehrt. Nach einer Fotosession mit der Familie und den Nachbarn setzen wir uns alle zusammen in die Hofecke und trinken das Bier aus Mutters guten Porzellantassen. Wir unterhalten uns mit Händen, Füßen und nicht zuletzt mithilfe von Block und Stift, trotzdem ist die Stimmung super. Etwas angeheitert wollen die Jungs nun noch ein paar Fotos von sich auf den Maschinen, was auch wieder sehr unterhaltsam wird.
Zu Bier muss Fisch sein!
 Gegen Mitternacht ist zum Glück Feierabend – hier im Dorf herrschen wohl normale Zeiten. Wir bekommen wieder Kost und Logie und dürfen am Sonntag lange ausschlafen.